Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Daheim.

Als es Ostern geworden war, reiste Reinhardt in
die Heimath. Am Morgen nach seiner Ankunft ging
er zu Elisabeth. Wie groß du geworden bist, sagte
er, als das schöne schmächtige Mädchen ihm lächelnd
entgegenkam. Sie erröthete, aber sie erwiderte nichts;
ihre Hand, die er beim Willkommen in die seine ge¬
nommen, suchte sie ihm sanft zu entziehen. Er sah
sie zweifelnd an, das hatte sie früher nicht gethan;
nun war es, als trete etwas Fremdes zwischen sie. --
Das blieb auch, als er schon länger da gewesen, und
als er Tag für Tag immer wiedergekommen war.
Wenn sie allein zusammen saßen, entstanden Pausen,
die ihm peinlich waren und denen er dann ängstlich
zuvorzukommen suchte. Um während der Ferienzeit
eine bestimmte Unterhaltung zu haben, fing er an
Elisabeth in der Botanik zu unterrichten, womit er
sich in den ersten Monaten seines Universitätslebens
angelegentlich beschäftigt hatte. Elisabeth, die ihm
in Allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft
war, ging bereitwillig darauf ein. Nun wurden meh¬
rere Male in der Woche Excursionen ins Feld oder

Daheim.

Als es Oſtern geworden war, reiſte Reinhardt in
die Heimath. Am Morgen nach ſeiner Ankunft ging
er zu Eliſabeth. Wie groß du geworden biſt, ſagte
er, als das ſchöne ſchmächtige Mädchen ihm lächelnd
entgegenkam. Sie erröthete, aber ſie erwiderte nichts;
ihre Hand, die er beim Willkommen in die ſeine ge¬
nommen, ſuchte ſie ihm ſanft zu entziehen. Er ſah
ſie zweifelnd an, das hatte ſie früher nicht gethan;
nun war es, als trete etwas Fremdes zwiſchen ſie. —
Das blieb auch, als er ſchon länger da geweſen, und
als er Tag für Tag immer wiedergekommen war.
Wenn ſie allein zuſammen ſaßen, entſtanden Pauſen,
die ihm peinlich waren und denen er dann ängſtlich
zuvorzukommen ſuchte. Um während der Ferienzeit
eine beſtimmte Unterhaltung zu haben, fing er an
Eliſabeth in der Botanik zu unterrichten, womit er
ſich in den erſten Monaten ſeines Univerſitätslebens
angelegentlich beſchäftigt hatte. Eliſabeth, die ihm
in Allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft
war, ging bereitwillig darauf ein. Nun wurden meh¬
rere Male in der Woche Excurſionen ins Feld oder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0036" n="30"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Daheim.</hi><lb/>
        </head>
        <p>Als es O&#x017F;tern geworden war, rei&#x017F;te Reinhardt in<lb/>
die Heimath. Am Morgen nach &#x017F;einer Ankunft ging<lb/>
er zu Eli&#x017F;abeth. Wie groß du geworden bi&#x017F;t, &#x017F;agte<lb/>
er, als das &#x017F;chöne &#x017F;chmächtige Mädchen ihm lächelnd<lb/>
entgegenkam. Sie erröthete, aber &#x017F;ie erwiderte nichts;<lb/>
ihre Hand, die er beim Willkommen in die &#x017F;eine ge¬<lb/>
nommen, &#x017F;uchte &#x017F;ie ihm &#x017F;anft zu entziehen. Er &#x017F;ah<lb/>
&#x017F;ie zweifelnd an, das hatte &#x017F;ie früher nicht gethan;<lb/>
nun war es, als trete etwas Fremdes zwi&#x017F;chen &#x017F;ie. &#x2014;<lb/>
Das blieb auch, als er &#x017F;chon länger da gewe&#x017F;en, und<lb/>
als er Tag für Tag immer wiedergekommen war.<lb/>
Wenn &#x017F;ie allein zu&#x017F;ammen &#x017F;aßen, ent&#x017F;tanden Pau&#x017F;en,<lb/>
die ihm peinlich waren und denen er dann äng&#x017F;tlich<lb/>
zuvorzukommen &#x017F;uchte. Um während der Ferienzeit<lb/>
eine be&#x017F;timmte Unterhaltung zu haben, fing er an<lb/>
Eli&#x017F;abeth in der Botanik zu unterrichten, womit er<lb/>
&#x017F;ich in den er&#x017F;ten Monaten &#x017F;eines Univer&#x017F;itätslebens<lb/>
angelegentlich be&#x017F;chäftigt hatte. Eli&#x017F;abeth, die ihm<lb/>
in Allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft<lb/>
war, ging bereitwillig darauf ein. Nun wurden meh¬<lb/>
rere Male in der Woche Excur&#x017F;ionen ins Feld oder<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0036] Daheim. Als es Oſtern geworden war, reiſte Reinhardt in die Heimath. Am Morgen nach ſeiner Ankunft ging er zu Eliſabeth. Wie groß du geworden biſt, ſagte er, als das ſchöne ſchmächtige Mädchen ihm lächelnd entgegenkam. Sie erröthete, aber ſie erwiderte nichts; ihre Hand, die er beim Willkommen in die ſeine ge¬ nommen, ſuchte ſie ihm ſanft zu entziehen. Er ſah ſie zweifelnd an, das hatte ſie früher nicht gethan; nun war es, als trete etwas Fremdes zwiſchen ſie. — Das blieb auch, als er ſchon länger da geweſen, und als er Tag für Tag immer wiedergekommen war. Wenn ſie allein zuſammen ſaßen, entſtanden Pauſen, die ihm peinlich waren und denen er dann ängſtlich zuvorzukommen ſuchte. Um während der Ferienzeit eine beſtimmte Unterhaltung zu haben, fing er an Eliſabeth in der Botanik zu unterrichten, womit er ſich in den erſten Monaten ſeines Univerſitätslebens angelegentlich beſchäftigt hatte. Eliſabeth, die ihm in Allem zu folgen gewohnt und überdies lehrhaft war, ging bereitwillig darauf ein. Nun wurden meh¬ rere Male in der Woche Excurſionen ins Feld oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Theodor Storms Novelle "Immensee" erschien zuerst… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/36
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/36>, abgerufen am 20.11.2024.