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Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

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Bei uns wird es nun Weihnachtabend sehr still
werden; meine Mutter stellt immer schon um halb
zehn ihr Spinnrad in die Ecke; es ist gar so ein¬
sam diesen Winter, wo du nicht hier bist. Nun ist
auch vorigen Sonntag der Hänfling gestorben, den
du mir geschenkt hattest; ich habe sehr geweint, aber
ich hab' ihn doch immer gut gewartet. Der sang
sonst immer Nachmittags, wenn die Sonne auf sein
Bauer schien; du weißt, die Mutter hing oft ein
Tuch über, um ihn zu geschweigen, wenn er so recht
aus Kräften sang. Da ist es nun noch stiller in
der Kammer, nur daß dein alter Freund Erich uns
jetzt mitunter besucht. Du sagtest einmal, er sähe
seinem braunen Ueberrock ähnlich. Daran muß
ich nun immer denken, wenn er zur Thür herein¬
kommt, und es ist gar zu komisch; sag es aber nicht
zur Mutter, sie wird dann leicht verdrießlich. --
Rath', was ich deiner Mutter zu Weihnachten
schenke! Du räthst es nicht? Mich selber! Der
Erich zeichnet mich in schwarzer Kreide; ich habe
ihm schon drei Mal sitzen müssen, jedes Mal eine
ganze Stunde. Es war mir recht zuwider, daß
der fremde Mensch mein Gesicht so auswendig

Bei uns wird es nun Weihnachtabend ſehr ſtill
werden; meine Mutter ſtellt immer ſchon um halb
zehn ihr Spinnrad in die Ecke; es iſt gar ſo ein¬
ſam dieſen Winter, wo du nicht hier biſt. Nun iſt
auch vorigen Sonntag der Hänfling geſtorben, den
du mir geſchenkt hatteſt; ich habe ſehr geweint, aber
ich hab' ihn doch immer gut gewartet. Der ſang
ſonſt immer Nachmittags, wenn die Sonne auf ſein
Bauer ſchien; du weißt, die Mutter hing oft ein
Tuch über, um ihn zu geſchweigen, wenn er ſo recht
aus Kräften ſang. Da iſt es nun noch ſtiller in
der Kammer, nur daß dein alter Freund Erich uns
jetzt mitunter beſucht. Du ſagteſt einmal, er ſähe
ſeinem braunen Ueberrock ähnlich. Daran muß
ich nun immer denken, wenn er zur Thür herein¬
kommt, und es iſt gar zu komiſch; ſag es aber nicht
zur Mutter, ſie wird dann leicht verdrießlich. —
Rath', was ich deiner Mutter zu Weihnachten
ſchenke! Du räthſt es nicht? Mich ſelber! Der
Erich zeichnet mich in ſchwarzer Kreide; ich habe
ihm ſchon drei Mal ſitzen müſſen, jedes Mal eine
ganze Stunde. Es war mir recht zuwider, daß
der fremde Menſch mein Geſicht ſo auswendig

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[26/0032] Bei uns wird es nun Weihnachtabend ſehr ſtill werden; meine Mutter ſtellt immer ſchon um halb zehn ihr Spinnrad in die Ecke; es iſt gar ſo ein¬ ſam dieſen Winter, wo du nicht hier biſt. Nun iſt auch vorigen Sonntag der Hänfling geſtorben, den du mir geſchenkt hatteſt; ich habe ſehr geweint, aber ich hab' ihn doch immer gut gewartet. Der ſang ſonſt immer Nachmittags, wenn die Sonne auf ſein Bauer ſchien; du weißt, die Mutter hing oft ein Tuch über, um ihn zu geſchweigen, wenn er ſo recht aus Kräften ſang. Da iſt es nun noch ſtiller in der Kammer, nur daß dein alter Freund Erich uns jetzt mitunter beſucht. Du ſagteſt einmal, er ſähe ſeinem braunen Ueberrock ähnlich. Daran muß ich nun immer denken, wenn er zur Thür herein¬ kommt, und es iſt gar zu komiſch; ſag es aber nicht zur Mutter, ſie wird dann leicht verdrießlich. — Rath', was ich deiner Mutter zu Weihnachten ſchenke! Du räthſt es nicht? Mich ſelber! Der Erich zeichnet mich in ſchwarzer Kreide; ich habe ihm ſchon drei Mal ſitzen müſſen, jedes Mal eine ganze Stunde. Es war mir recht zuwider, daß der fremde Menſch mein Geſicht ſo auswendig

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/32>, abgerufen am 24.11.2024.