Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

kleinen Gäste aus dem hellen Hause auf die dunkle
Gasse hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein
altes Weihnachtslied gesungen; es waren klare Mäd¬
chenstimmen darunter. Reinhardt hörte sie nicht, er
ging rasch an Allem vorüber, aus einer Straße in
die andere. Als er an seine Wohnung gekommen,
war es fast völlig dunkel geworden: er stolperte die
Treppe hinauf und trat in seine Stube. Ein süßer
Duft schlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das
roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsstube. Mit
zitternder Hand zündete er sein Licht an; da lag ein
mächtiges Packet auf dem Tisch, und als er es öffnete,
fielen die wohlbekannten braunen Festkuchen heraus;
auf einigen waren die Anfangsbuchstaben seines Na¬
mens in Zucker ausgestreut; das konnte Niemand
anders als Elisabeth gethan haben. Dann kam ein
Päckchen mit feiner gestickter Wäsche zum Vorschein,
Tücher und Manschetten, zuletzt Briefe von der Mut¬
ter und von Elisabeth. Reinhardt öffnete zuerst den
letzteren; Elisabeth schrieb:

Die schönen Zuckerbuchstaben können dir wohl
erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; die¬
selbe Person hat die Manschetten für dich gestickt.

kleinen Gäſte aus dem hellen Hauſe auf die dunkle
Gaſſe hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein
altes Weihnachtslied geſungen; es waren klare Mäd¬
chenſtimmen darunter. Reinhardt hörte ſie nicht, er
ging raſch an Allem vorüber, aus einer Straße in
die andere. Als er an ſeine Wohnung gekommen,
war es faſt völlig dunkel geworden: er ſtolperte die
Treppe hinauf und trat in ſeine Stube. Ein ſüßer
Duft ſchlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das
roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsſtube. Mit
zitternder Hand zündete er ſein Licht an; da lag ein
mächtiges Packet auf dem Tiſch, und als er es öffnete,
fielen die wohlbekannten braunen Feſtkuchen heraus;
auf einigen waren die Anfangsbuchſtaben ſeines Na¬
mens in Zucker ausgeſtreut; das konnte Niemand
anders als Eliſabeth gethan haben. Dann kam ein
Päckchen mit feiner geſtickter Wäſche zum Vorſchein,
Tücher und Manſchetten, zuletzt Briefe von der Mut¬
ter und von Eliſabeth. Reinhardt öffnete zuerſt den
letzteren; Eliſabeth ſchrieb:

Die ſchönen Zuckerbuchſtaben können dir wohl
erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; die¬
ſelbe Perſon hat die Manſchetten für dich geſtickt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0031" n="25"/>
kleinen Gä&#x017F;te aus dem hellen Hau&#x017F;e auf die dunkle<lb/>
Ga&#x017F;&#x017F;e hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein<lb/>
altes Weihnachtslied ge&#x017F;ungen; es waren klare Mäd¬<lb/>
chen&#x017F;timmen darunter. Reinhardt hörte &#x017F;ie nicht, er<lb/>
ging ra&#x017F;ch an Allem vorüber, aus einer Straße in<lb/>
die andere. Als er an &#x017F;eine Wohnung gekommen,<lb/>
war es fa&#x017F;t völlig dunkel geworden: er &#x017F;tolperte die<lb/>
Treppe hinauf und trat in &#x017F;eine Stube. Ein &#x017F;üßer<lb/>
Duft &#x017F;chlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das<lb/>
roch wie zu Haus der Mutter Weihnachts&#x017F;tube. Mit<lb/>
zitternder Hand zündete er &#x017F;ein Licht an; da lag ein<lb/>
mächtiges Packet auf dem Ti&#x017F;ch, und als er es öffnete,<lb/>
fielen die wohlbekannten braunen Fe&#x017F;tkuchen heraus;<lb/>
auf einigen waren die Anfangsbuch&#x017F;taben &#x017F;eines Na¬<lb/>
mens in Zucker ausge&#x017F;treut; das konnte Niemand<lb/>
anders als Eli&#x017F;abeth gethan haben. Dann kam ein<lb/>
Päckchen mit feiner ge&#x017F;tickter Wä&#x017F;che zum Vor&#x017F;chein,<lb/>
Tücher und Man&#x017F;chetten, zuletzt Briefe von der Mut¬<lb/>
ter und von Eli&#x017F;abeth. Reinhardt öffnete zuer&#x017F;t den<lb/>
letzteren; Eli&#x017F;abeth &#x017F;chrieb:</p><lb/>
        <p>Die &#x017F;chönen Zuckerbuch&#x017F;taben können dir wohl<lb/>
erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; die¬<lb/>
&#x017F;elbe Per&#x017F;on hat die Man&#x017F;chetten für dich ge&#x017F;tickt.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0031] kleinen Gäſte aus dem hellen Hauſe auf die dunkle Gaſſe hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein altes Weihnachtslied geſungen; es waren klare Mäd¬ chenſtimmen darunter. Reinhardt hörte ſie nicht, er ging raſch an Allem vorüber, aus einer Straße in die andere. Als er an ſeine Wohnung gekommen, war es faſt völlig dunkel geworden: er ſtolperte die Treppe hinauf und trat in ſeine Stube. Ein ſüßer Duft ſchlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsſtube. Mit zitternder Hand zündete er ſein Licht an; da lag ein mächtiges Packet auf dem Tiſch, und als er es öffnete, fielen die wohlbekannten braunen Feſtkuchen heraus; auf einigen waren die Anfangsbuchſtaben ſeines Na¬ mens in Zucker ausgeſtreut; das konnte Niemand anders als Eliſabeth gethan haben. Dann kam ein Päckchen mit feiner geſtickter Wäſche zum Vorſchein, Tücher und Manſchetten, zuletzt Briefe von der Mut¬ ter und von Eliſabeth. Reinhardt öffnete zuerſt den letzteren; Eliſabeth ſchrieb: Die ſchönen Zuckerbuchſtaben können dir wohl erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; die¬ ſelbe Perſon hat die Manſchetten für dich geſtickt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Theodor Storms Novelle "Immensee" erschien zuerst… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/31
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/31>, abgerufen am 21.11.2024.