Antlitz des geliebten Herrn; die Fremdheit des Todes, so darauf lag, sagte mir, daß er itzt eines andern Land's Genosse sei. Indem ich aber neben dem Leichnam zum Gebete hinknieen wollte, erhub sich über den Rand des Sarges mir genüber ein junges blasses Antlitz, das aus schwarzen Schleiern fast erschrocken auf mich schaute.
Aber nur, wie ein Hauch verweht, so blickten die braunen Augen herzlich zu mir auf, und es war fast wie ein Freudenruf: "O, Johannes, seid Ihr's denn! Ach, Ihr seid zu spät gekom¬ men!" Und über dem Sarge hatten unsere Hände sich zum Gruß gefaßt; denn es war Ka¬ tharina, und sie war so schön geworden, daß hier im Angesicht des Todes ein heißer Puls des Lebens mich durchfuhr. Zwar, das spielende Licht der Augen lag itzt zurückgeschrecket in der Tiefe; aber aus dem schwarzen Häubchen dräng¬ ten sich die braunen Löcklein, und der schwellende Mund war um so röther in dem blassen Antlitz.
Und fast verwirret auf den Todten schauend
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Antlitz des geliebten Herrn; die Fremdheit des Todes, ſo darauf lag, ſagte mir, daß er itzt eines andern Land's Genoſſe ſei. Indem ich aber neben dem Leichnam zum Gebete hinknieen wollte, erhub ſich über den Rand des Sarges mir genüber ein junges blaſſes Antlitz, das aus ſchwarzen Schleiern faſt erſchrocken auf mich ſchaute.
Aber nur, wie ein Hauch verweht, ſo blickten die braunen Augen herzlich zu mir auf, und es war faſt wie ein Freudenruf: „O, Johannes, ſeid Ihr's denn! Ach, Ihr ſeid zu ſpät gekom¬ men!“ Und über dem Sarge hatten unſere Hände ſich zum Gruß gefaßt; denn es war Ka¬ tharina, und ſie war ſo ſchön geworden, daß hier im Angeſicht des Todes ein heißer Puls des Lebens mich durchfuhr. Zwar, das ſpielende Licht der Augen lag itzt zurückgeſchrecket in der Tiefe; aber aus dem ſchwarzen Häubchen dräng¬ ten ſich die braunen Löcklein, und der ſchwellende Mund war um ſo röther in dem blaſſen Antlitz.
Und faſt verwirret auf den Todten ſchauend
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Antlitz des geliebten Herrn; die Fremdheit des
Todes, ſo darauf lag, ſagte mir, daß er itzt
eines andern Land's Genoſſe ſei. Indem ich
aber neben dem Leichnam zum Gebete hinknieen
wollte, erhub ſich über den Rand des Sarges
mir genüber ein junges blaſſes Antlitz, das
aus ſchwarzen Schleiern faſt erſchrocken auf mich
ſchaute.
Aber nur, wie ein Hauch verweht, ſo blickten
die braunen Augen herzlich zu mir auf, und es
war faſt wie ein Freudenruf: „O, Johannes,
ſeid Ihr's denn! Ach, Ihr ſeid zu ſpät gekom¬
men!“ Und über dem Sarge hatten unſere
Hände ſich zum Gruß gefaßt; denn es war Ka¬
tharina, und ſie war ſo ſchön geworden, daß
hier im Angeſicht des Todes ein heißer Puls
des Lebens mich durchfuhr. Zwar, das ſpielende
Licht der Augen lag itzt zurückgeſchrecket in der
Tiefe; aber aus dem ſchwarzen Häubchen dräng¬
ten ſich die braunen Löcklein, und der ſchwellende
Mund war um ſo röther in dem blaſſen Antlitz.
Und faſt verwirret auf den Todten ſchauend
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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/49>, abgerufen am 16.02.2025.
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