Mein Bruder, dessen schwache Constitution von dem abscheulichen Spectakul, dem er heute assistiren müssen, hart ergriffen war, hatte sein Bette aufgesucht. Da ich zu ihm eintrat, richtete er sich auf. "Ich muß noch eine Weile ruhen;" sagte er, indem er ein Blatt der Wochenzeitung in meine Hand gab: "aber lies doch dieses! Da wirst Du sehen, daß Herrn Gerhardus' Hof in fremde Hände kommen, maaßen Junker Wulf ohn' Weib und Kind durch eines tollen Hundes Biß gar jämmerlichen Todes verfahren ist."
Ich griff nach dem Blatte, das mein Bruder mir entgegenhielt; aber es fehlte nicht viel, daß ich getaumelt wäre. Mir war's bei dieser Schreckenspost, als sprängen des Paradieses Pforten vor mir auf; aber schon sahe ich am Eingange den Engel mit dem Feuerschwerdte stehen, und aus meinem Herzen schrie es wieder: O Hüter, Hüter, war Dein Ruf so fern! -- -- Dieser Tod hätte uns das Leben werden können; nun war's nur ein Entsetzen zu den andern.
Ich saß oben auf meiner Kammer. Es wurde
Mein Bruder, deſſen ſchwache Conſtitution von dem abſcheulichen Spectakul, dem er heute aſſiſtiren müſſen, hart ergriffen war, hatte ſein Bette aufgeſucht. Da ich zu ihm eintrat, richtete er ſich auf. „Ich muß noch eine Weile ruhen;“ ſagte er, indem er ein Blatt der Wochenzeitung in meine Hand gab: „aber lies doch dieſes! Da wirſt Du ſehen, daß Herrn Gerhardus' Hof in fremde Hände kommen, maaßen Junker Wulf ohn' Weib und Kind durch eines tollen Hundes Biß gar jämmerlichen Todes verfahren iſt.“
Ich griff nach dem Blatte, das mein Bruder mir entgegenhielt; aber es fehlte nicht viel, daß ich getaumelt wäre. Mir war's bei dieſer Schreckenspoſt, als ſprängen des Paradieſes Pforten vor mir auf; aber ſchon ſahe ich am Eingange den Engel mit dem Feuerſchwerdte ſtehen, und aus meinem Herzen ſchrie es wieder: O Hüter, Hüter, war Dein Ruf ſo fern! — — Dieſer Tod hätte uns das Leben werden können; nun war's nur ein Entſetzen zu den andern.
Ich ſaß oben auf meiner Kammer. Es wurde
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Mein Bruder, deſſen ſchwache Conſtitution
von dem abſcheulichen Spectakul, dem er heute
aſſiſtiren müſſen, hart ergriffen war, hatte ſein
Bette aufgeſucht. Da ich zu ihm eintrat, richtete
er ſich auf. „Ich muß noch eine Weile ruhen;“
ſagte er, indem er ein Blatt der Wochenzeitung
in meine Hand gab: „aber lies doch dieſes! Da
wirſt Du ſehen, daß Herrn Gerhardus' Hof in
fremde Hände kommen, maaßen Junker Wulf
ohn' Weib und Kind durch eines tollen Hundes
Biß gar jämmerlichen Todes verfahren iſt.“
Ich griff nach dem Blatte, das mein Bruder
mir entgegenhielt; aber es fehlte nicht viel, daß
ich getaumelt wäre. Mir war's bei dieſer
Schreckenspoſt, als ſprängen des Paradieſes
Pforten vor mir auf; aber ſchon ſahe ich am
Eingange den Engel mit dem Feuerſchwerdte
ſtehen, und aus meinem Herzen ſchrie es wieder:
O Hüter, Hüter, war Dein Ruf ſo fern! — —
Dieſer Tod hätte uns das Leben werden können;
nun war's nur ein Entſetzen zu den andern.
Ich ſaß oben auf meiner Kammer. Es wurde
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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/162>, abgerufen am 16.02.2025.
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