Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.-- In des Predigers Wohnung wurde ich Weßhalb rühreten diese Augen so an meine — In des Predigers Wohnung wurde ich Weßhalb rühreten dieſe Augen ſo an meine <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0139" n="125"/> <p>— In des Predigers Wohnung wurde ich<lb/> nicht geladen und betrat ſelbige auch nicht; der<lb/> Knabe aber war allzeit mit ihm in der Küſterei;<lb/> er ſtand an ſeinen Knieen oder er ſpielte mit<lb/> Kieſelſteinchen in der Ecke des Zimmers. Da ich<lb/> ſelbigen einmal fragte, wie er heiße, antwortete<lb/> er: „Johannes!“ — „Johannes?“ entgegnete ich,<lb/> „ſo heiße ich ja auch!“ — Er ſah mich groß an,<lb/> ſagte aber weiter nichts.</p><lb/> <p>Weßhalb rühreten dieſe Augen ſo an meine<lb/> Seele? — Einmal gar überraſchete mich ein<lb/> finſterer Blick des Paſtors, daß ich den Pinſel<lb/> müſſig auf der Leinewand ruhen ließ. Es war<lb/> etwas in dieſes Kindes Antlitz, das nicht aus<lb/> ſeinem kurzen Leben kommen konnte; aber es<lb/> war kein froher Zug. So, dachte ich, ſieht ein<lb/> Kind, das unter einem kummerſchweren Herzen<lb/> ausgewachſen. Ich hätte oft die Arme nach ihm<lb/> breiten mögen; aber ich ſcheuete mich vor dem<lb/> harten Manne, der es gleich einem Kleinod zu<lb/> behüten ſchien. Wol dachte ich oft: „Welch<lb/> eine Frau mag dieſes Knaben Mutter ſein?“ —</p><lb/> </body> </text> </TEI> [125/0139]
— In des Predigers Wohnung wurde ich
nicht geladen und betrat ſelbige auch nicht; der
Knabe aber war allzeit mit ihm in der Küſterei;
er ſtand an ſeinen Knieen oder er ſpielte mit
Kieſelſteinchen in der Ecke des Zimmers. Da ich
ſelbigen einmal fragte, wie er heiße, antwortete
er: „Johannes!“ — „Johannes?“ entgegnete ich,
„ſo heiße ich ja auch!“ — Er ſah mich groß an,
ſagte aber weiter nichts.
Weßhalb rühreten dieſe Augen ſo an meine
Seele? — Einmal gar überraſchete mich ein
finſterer Blick des Paſtors, daß ich den Pinſel
müſſig auf der Leinewand ruhen ließ. Es war
etwas in dieſes Kindes Antlitz, das nicht aus
ſeinem kurzen Leben kommen konnte; aber es
war kein froher Zug. So, dachte ich, ſieht ein
Kind, das unter einem kummerſchweren Herzen
ausgewachſen. Ich hätte oft die Arme nach ihm
breiten mögen; aber ich ſcheuete mich vor dem
harten Manne, der es gleich einem Kleinod zu
behüten ſchien. Wol dachte ich oft: „Welch
eine Frau mag dieſes Knaben Mutter ſein?“ —
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/139 |
Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/139>, abgerufen am 17.07.2024. |