die auf festem Lande günstigen Wind abwar- ten, ihr ganzer Erwerb.
Einsmals, da mehrere holländische Schiffer bey ihr zu Abend gegessen hatten, findet sie beym Aufräumen einen versiegelten Beutel mit Geld unter dem Tisch. Ihre Bestürzung über diesen unerwarteten Fund ist natürlich sehr groß; es mußte Jemand aus der so eben ab- gereis'ten Gesellschaft den Beutel vergessen ha- ben: aber die Schiffer waren in See, der Wind günstig und an keine Rückkehr der Gäste zu denken. Die gute Frau legt den Beutel in ihren Schrank, wo er so lange ruhen sollte, bis sich sein Besitzer melden würde. Doch, dieser meldet sich nicht. Sieben Jahre hindurch bewahrt sie aufs sorgfältigste ihr Un- terpfand, oft von Gelegenheiten versucht, noch öfter vom Mangel gedrängt, das Geschenk des Zufalls zu benutzen. Doch ihre Ehrlichkeit siegt über jeden Reiz der Gelegenheit und über jedes Gebot des Mangels. Nach sieben Jah- ren bewirthet sie abermals einige Schiffer. Drey unter ihnen waren Engländer, der vierte ein Holländer. Unter andern Gesprächen fra- gen jene diesen, ob er schon jemals in Oranien-
die auf feſtem Lande guͤnſtigen Wind abwar- ten, ihr ganzer Erwerb.
Einsmals, da mehrere hollaͤndiſche Schiffer bey ihr zu Abend gegeſſen hatten, findet ſie beym Aufraͤumen einen verſiegelten Beutel mit Geld unter dem Tiſch. Ihre Beſtuͤrzung uͤber dieſen unerwarteten Fund iſt natuͤrlich ſehr groß; es mußte Jemand aus der ſo eben ab- gereiſ’ten Geſellſchaft den Beutel vergeſſen ha- ben: aber die Schiffer waren in See, der Wind guͤnſtig und an keine Ruͤckkehr der Gaͤſte zu denken. Die gute Frau legt den Beutel in ihren Schrank, wo er ſo lange ruhen ſollte, bis ſich ſein Beſitzer melden wuͤrde. Doch, dieſer meldet ſich nicht. Sieben Jahre hindurch bewahrt ſie aufs ſorgfaͤltigſte ihr Un- terpfand, oft von Gelegenheiten verſucht, noch oͤfter vom Mangel gedraͤngt, das Geſchenk des Zufalls zu benutzen. Doch ihre Ehrlichkeit ſiegt uͤber jeden Reiz der Gelegenheit und uͤber jedes Gebot des Mangels. Nach ſieben Jah- ren bewirthet ſie abermals einige Schiffer. Drey unter ihnen waren Englaͤnder, der vierte ein Hollaͤnder. Unter andern Geſpraͤchen fra- gen jene dieſen, ob er ſchon jemals in Oranien-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0510"n="492"/>
die auf feſtem Lande guͤnſtigen Wind abwar-<lb/>
ten, ihr ganzer Erwerb.</p><lb/><p>Einsmals, da mehrere hollaͤndiſche Schiffer<lb/>
bey ihr zu Abend gegeſſen hatten, findet ſie<lb/>
beym Aufraͤumen einen verſiegelten Beutel mit<lb/>
Geld unter dem Tiſch. Ihre Beſtuͤrzung uͤber<lb/>
dieſen unerwarteten Fund iſt natuͤrlich ſehr<lb/>
groß; es mußte Jemand aus der ſo eben ab-<lb/>
gereiſ’ten Geſellſchaft den Beutel vergeſſen ha-<lb/>
ben: aber die Schiffer waren in See, der<lb/>
Wind guͤnſtig und an keine Ruͤckkehr der Gaͤſte<lb/>
zu denken. Die gute Frau legt den Beutel in<lb/>
ihren Schrank, wo er ſo lange ruhen ſollte,<lb/>
bis ſich ſein Beſitzer melden wuͤrde. Doch,<lb/>
dieſer meldet ſich nicht. <hirendition="#g">Sieben Jahre</hi><lb/>
hindurch bewahrt ſie aufs ſorgfaͤltigſte ihr Un-<lb/>
terpfand, oft von Gelegenheiten verſucht, noch<lb/>
oͤfter vom Mangel gedraͤngt, das Geſchenk des<lb/>
Zufalls zu benutzen. Doch ihre Ehrlichkeit<lb/>ſiegt uͤber jeden Reiz der Gelegenheit und uͤber<lb/>
jedes Gebot des Mangels. Nach ſieben Jah-<lb/>
ren bewirthet ſie abermals einige Schiffer.<lb/>
Drey unter ihnen waren Englaͤnder, der vierte<lb/>
ein Hollaͤnder. Unter andern Geſpraͤchen fra-<lb/>
gen jene dieſen, ob er ſchon jemals in Oranien-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[492/0510]
die auf feſtem Lande guͤnſtigen Wind abwar-
ten, ihr ganzer Erwerb.
Einsmals, da mehrere hollaͤndiſche Schiffer
bey ihr zu Abend gegeſſen hatten, findet ſie
beym Aufraͤumen einen verſiegelten Beutel mit
Geld unter dem Tiſch. Ihre Beſtuͤrzung uͤber
dieſen unerwarteten Fund iſt natuͤrlich ſehr
groß; es mußte Jemand aus der ſo eben ab-
gereiſ’ten Geſellſchaft den Beutel vergeſſen ha-
ben: aber die Schiffer waren in See, der
Wind guͤnſtig und an keine Ruͤckkehr der Gaͤſte
zu denken. Die gute Frau legt den Beutel in
ihren Schrank, wo er ſo lange ruhen ſollte,
bis ſich ſein Beſitzer melden wuͤrde. Doch,
dieſer meldet ſich nicht. Sieben Jahre
hindurch bewahrt ſie aufs ſorgfaͤltigſte ihr Un-
terpfand, oft von Gelegenheiten verſucht, noch
oͤfter vom Mangel gedraͤngt, das Geſchenk des
Zufalls zu benutzen. Doch ihre Ehrlichkeit
ſiegt uͤber jeden Reiz der Gelegenheit und uͤber
jedes Gebot des Mangels. Nach ſieben Jah-
ren bewirthet ſie abermals einige Schiffer.
Drey unter ihnen waren Englaͤnder, der vierte
ein Hollaͤnder. Unter andern Geſpraͤchen fra-
gen jene dieſen, ob er ſchon jemals in Oranien-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/510>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.