Deutschen, zu fehlen. Kein andres Volk schmiegt sich so leicht und gern an fremde Sitten an, kein andres Volk vergißt so bald sein Vaterland, als die Deutschen. Der Eng- länder lebt in Neapel, Lissabon und Peters- burg als Engländer; er sieht seinen Aufent- halt, und wäre er ein Paradies, nur als eine Verbannung an, und kehrt zurück in sein ge- liebtes Vaterland, sobald ein günstiges Schick- sal ihm lächelt. Die Deutschen verlieren im Auslande, vorzüglich wenn es ihnen wohl geht, in wenigen Jahren selbst die Rückerinnerung an ihr Vaterland, was auch ihre Dichter sin- gen und sagen mögen. Ich habe Leute ge- kannt, die aus den schönsten und glücklichsten Gegenden Deutschlands in dem Alter der Ue- berlegung hieher gekommen waren, und mich von den Vorzügen ihres Vaterlandes mit Be- geisterung sprechen hörten, ohne nur einen Wunsch nach der Rückkehr in dasselbe zu äu- ßern. Mehrere wohlhabende und unabhän- gige Deutsche, die ich hierüber befragte, gaben mir mit der kältesten Unempfindlichkeit zu ver- stehen, daß ihnen allenthalben wohl sey, wo -- Braten und Punsch zu haben wäre. Nur
Deutſchen, zu fehlen. Kein andres Volk ſchmiegt ſich ſo leicht und gern an fremde Sitten an, kein andres Volk vergißt ſo bald ſein Vaterland, als die Deutſchen. Der Eng- laͤnder lebt in Neapel, Liſſabon und Peters- burg als Englaͤnder; er ſieht ſeinen Aufent- halt, und waͤre er ein Paradies, nur als eine Verbannung an, und kehrt zuruͤck in ſein ge- liebtes Vaterland, ſobald ein guͤnſtiges Schick- ſal ihm laͤchelt. Die Deutſchen verlieren im Auslande, vorzuͤglich wenn es ihnen wohl geht, in wenigen Jahren ſelbſt die Ruͤckerinnerung an ihr Vaterland, was auch ihre Dichter ſin- gen und ſagen moͤgen. Ich habe Leute ge- kannt, die aus den ſchoͤnſten und gluͤcklichſten Gegenden Deutſchlands in dem Alter der Ue- berlegung hieher gekommen waren, und mich von den Vorzuͤgen ihres Vaterlandes mit Be- geiſterung ſprechen hoͤrten, ohne nur einen Wunſch nach der Ruͤckkehr in daſſelbe zu aͤu- ßern. Mehrere wohlhabende und unabhaͤn- gige Deutſche, die ich hieruͤber befragte, gaben mir mit der kaͤlteſten Unempfindlichkeit zu ver- ſtehen, daß ihnen allenthalben wohl ſey, wo — Braten und Punſch zu haben waͤre. Nur
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Deutſchen, zu fehlen. Kein andres Volk
ſchmiegt ſich ſo leicht und gern an fremde
Sitten an, kein andres Volk vergißt ſo bald
ſein Vaterland, als die Deutſchen. Der Eng-
laͤnder lebt in Neapel, Liſſabon und Peters-
burg als Englaͤnder; er ſieht ſeinen Aufent-
halt, und waͤre er ein Paradies, nur als eine
Verbannung an, und kehrt zuruͤck in ſein ge-
liebtes Vaterland, ſobald ein guͤnſtiges Schick-
ſal ihm laͤchelt. Die Deutſchen verlieren im
Auslande, vorzuͤglich wenn es ihnen wohl geht,
in wenigen Jahren ſelbſt die Ruͤckerinnerung
an ihr Vaterland, was auch ihre Dichter ſin-
gen und ſagen moͤgen. Ich habe Leute ge-
kannt, die aus den ſchoͤnſten und gluͤcklichſten
Gegenden Deutſchlands in dem Alter der Ue-
berlegung hieher gekommen waren, und mich
von den Vorzuͤgen ihres Vaterlandes mit Be-
geiſterung ſprechen hoͤrten, ohne nur einen
Wunſch nach der Ruͤckkehr in daſſelbe zu aͤu-
ßern. Mehrere wohlhabende und unabhaͤn-
gige Deutſche, die ich hieruͤber befragte, gaben
mir mit der kaͤlteſten Unempfindlichkeit zu ver-
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— Braten und Punſch zu haben waͤre. Nur
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/506>, abgerufen am 24.11.2024.
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