sich auch sogleich um Informatorstellen zu be- werben, ein Metier, auf welchem hier aus mancherley Gründen eine besondere Art von Geringschätzung ruht. Die Zeitungen sind voll von Anerbietungen solcher Leute, die sich aufs Gerathewohl hier einfinden, oder vielleicht, durch Mißgeschick umhergeworfen, nach Pe- tersburg, als dem letzten Hafen aller Glücks- ritter eilen. Oft finden sich unter ihnen Män- ner von Talent und Brauchbarkeit, und die- sen schlägt es selten fehl, sich zu einer günsti- gern Lage hinaufzuarbeiten; da aber tägliche neue Ankömmlinge das vergessene Bild ihres vormaligen Zustandes erneuern, und die Resi- denz fast der einzige Kanal ist, durch welchen diese fremden Ansiedler Rußland überströmen, so ist es natürlich, daß der Deutsche hier we- niger gelten muß, als irgendwo im Reiche.
Ich übergehe mehrere andere Ursachen, um nur noch die letzte und wirksamste, den Mangel an Selbstgefühl und Natio- nalstolz, zu rügen. Diese beyden Eigen- schaften, durch welche sich alle, auch die arm- seligsten Völkerschaften des Erdbodens aus- zeichnen, scheinen dem Deutschen, und nur dem
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ſich auch ſogleich um Informatorſtellen zu be- werben, ein Metier, auf welchem hier aus mancherley Gruͤnden eine beſondere Art von Geringſchaͤtzung ruht. Die Zeitungen ſind voll von Anerbietungen ſolcher Leute, die ſich aufs Gerathewohl hier einfinden, oder vielleicht, durch Mißgeſchick umhergeworfen, nach Pe- tersburg, als dem letzten Hafen aller Gluͤcks- ritter eilen. Oft finden ſich unter ihnen Maͤn- ner von Talent und Brauchbarkeit, und die- ſen ſchlaͤgt es ſelten fehl, ſich zu einer guͤnſti- gern Lage hinaufzuarbeiten; da aber taͤgliche neue Ankoͤmmlinge das vergeſſene Bild ihres vormaligen Zuſtandes erneuern, und die Reſi- denz faſt der einzige Kanal iſt, durch welchen dieſe fremden Anſiedler Rußland uͤberſtroͤmen, ſo iſt es natuͤrlich, daß der Deutſche hier we- niger gelten muß, als irgendwo im Reiche.
Ich uͤbergehe mehrere andere Urſachen, um nur noch die letzte und wirkſamſte, den Mangel an Selbſtgefuͤhl und Natio- nalſtolz, zu ruͤgen. Dieſe beyden Eigen- ſchaften, durch welche ſich alle, auch die arm- ſeligſten Voͤlkerſchaften des Erdbodens aus- zeichnen, ſcheinen dem Deutſchen, und nur dem
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ſich auch ſogleich um Informatorſtellen zu be-
werben, ein Metier, auf welchem hier aus
mancherley Gruͤnden eine beſondere Art von
Geringſchaͤtzung ruht. Die Zeitungen ſind voll
von Anerbietungen ſolcher Leute, die ſich aufs
Gerathewohl hier einfinden, oder vielleicht,
durch Mißgeſchick umhergeworfen, nach Pe-
tersburg, als dem letzten Hafen aller Gluͤcks-
ritter eilen. Oft finden ſich unter ihnen Maͤn-
ner von Talent und Brauchbarkeit, und die-
ſen ſchlaͤgt es ſelten fehl, ſich zu einer guͤnſti-
gern Lage hinaufzuarbeiten; da aber taͤgliche
neue Ankoͤmmlinge das vergeſſene Bild ihres
vormaligen Zuſtandes erneuern, und die Reſi-
denz faſt der einzige Kanal iſt, durch welchen
dieſe fremden Anſiedler Rußland uͤberſtroͤmen,
ſo iſt es natuͤrlich, daß der Deutſche hier we-
niger gelten muß, als irgendwo im Reiche.
Ich uͤbergehe mehrere andere Urſachen,
um nur noch die letzte und wirkſamſte, den
Mangel an Selbſtgefuͤhl und Natio-
nalſtolz, zu ruͤgen. Dieſe beyden Eigen-
ſchaften, durch welche ſich alle, auch die arm-
ſeligſten Voͤlkerſchaften des Erdbodens aus-
zeichnen, ſcheinen dem Deutſchen, und nur dem
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/505>, abgerufen am 25.11.2024.
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