Häusern einzelner Privatleute, auch in den öffentlichen Vergnügungsörtern des Mittelstan- des sieht man Große von allen Klassen unter dem anständigen Publikum vertheilt, wo sie nicht, wie ehemals in Paris, nur genießen sehen, sondern selbst Theil nehmen und sich sogar gesellschaftliche Aemter übertragen lassen.
Durch Erziehung und Reisen mit den Spra- chen und Sitten der Ausländer bekannt, findet man unter den Großen nur wenige Spuren einer Anhänglichkeit an alte vaterländische Ge- bräuche. Der Ton, der in den meisten Häu- sern herrscht, ist der allgemeine europäische Hofton, den sich die höhern Klassen in solchem Maaße eigen gemacht haben, und den sie mit solcher Feinheit und Gewandheit üben, daß diese Zirkel, nächst denen in dem ehemaligen Versailles, vielleicht für die beste Schule ei- nes Weltmanns gelten können.
Haͤuſern einzelner Privatleute, auch in den oͤffentlichen Vergnuͤgungsoͤrtern des Mittelſtan- des ſieht man Große von allen Klaſſen unter dem anſtaͤndigen Publikum vertheilt, wo ſie nicht, wie ehemals in Paris, nur genießen ſehen, ſondern ſelbſt Theil nehmen und ſich ſogar geſellſchaftliche Aemter uͤbertragen laſſen.
Durch Erziehung und Reiſen mit den Spra- chen und Sitten der Auslaͤnder bekannt, findet man unter den Großen nur wenige Spuren einer Anhaͤnglichkeit an alte vaterlaͤndiſche Ge- braͤuche. Der Ton, der in den meiſten Haͤu- ſern herrſcht, iſt der allgemeine europaͤiſche Hofton, den ſich die hoͤhern Klaſſen in ſolchem Maaße eigen gemacht haben, und den ſie mit ſolcher Feinheit und Gewandheit uͤben, daß dieſe Zirkel, naͤchſt denen in dem ehemaligen Verſailles, vielleicht fuͤr die beſte Schule ei- nes Weltmanns gelten koͤnnen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0496"n="478"/>
Haͤuſern einzelner Privatleute, auch in den<lb/>
oͤffentlichen Vergnuͤgungsoͤrtern des Mittelſtan-<lb/>
des ſieht man Große von allen Klaſſen unter<lb/>
dem anſtaͤndigen Publikum vertheilt, wo ſie<lb/>
nicht, wie ehemals in Paris, nur genießen<lb/>ſehen, ſondern ſelbſt Theil nehmen und ſich<lb/>ſogar geſellſchaftliche Aemter uͤbertragen laſſen.</p><lb/><p>Durch Erziehung und Reiſen mit den Spra-<lb/>
chen und Sitten der Auslaͤnder bekannt, findet<lb/>
man unter den Großen nur wenige Spuren<lb/>
einer Anhaͤnglichkeit an alte vaterlaͤndiſche Ge-<lb/>
braͤuche. Der Ton, der in den meiſten Haͤu-<lb/>ſern herrſcht, iſt der allgemeine europaͤiſche<lb/>
Hofton, den ſich die hoͤhern Klaſſen in ſolchem<lb/>
Maaße eigen gemacht haben, und den ſie mit<lb/>ſolcher Feinheit und Gewandheit uͤben, daß<lb/>
dieſe Zirkel, naͤchſt denen in dem ehemaligen<lb/>
Verſailles, vielleicht fuͤr die beſte Schule ei-<lb/>
nes Weltmanns gelten koͤnnen.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[478/0496]
Haͤuſern einzelner Privatleute, auch in den
oͤffentlichen Vergnuͤgungsoͤrtern des Mittelſtan-
des ſieht man Große von allen Klaſſen unter
dem anſtaͤndigen Publikum vertheilt, wo ſie
nicht, wie ehemals in Paris, nur genießen
ſehen, ſondern ſelbſt Theil nehmen und ſich
ſogar geſellſchaftliche Aemter uͤbertragen laſſen.
Durch Erziehung und Reiſen mit den Spra-
chen und Sitten der Auslaͤnder bekannt, findet
man unter den Großen nur wenige Spuren
einer Anhaͤnglichkeit an alte vaterlaͤndiſche Ge-
braͤuche. Der Ton, der in den meiſten Haͤu-
ſern herrſcht, iſt der allgemeine europaͤiſche
Hofton, den ſich die hoͤhern Klaſſen in ſolchem
Maaße eigen gemacht haben, und den ſie mit
ſolcher Feinheit und Gewandheit uͤben, daß
dieſe Zirkel, naͤchſt denen in dem ehemaligen
Verſailles, vielleicht fuͤr die beſte Schule ei-
nes Weltmanns gelten koͤnnen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/496>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.