Jahrszeiten mit den köstlichsten und auserle- sensten Früchten besetzt; es giebt Große die in ihren Treibhäusern jährlich gegen 20,000 Klafter Holz verbrauchen und ihren Gärtner mit tausend Rubeln bezahlen.
Eben die Gastfreyheit, welche den Mittel- stand in St. Petersburg auf eine so eigen- thümliche Art auszeichnet, ist auch unter den Großen und in noch höherem Grade herrschend. Wer einmal in einem Hause vorgestellt ist und anständig gekleidet erscheint, kann sich jedes- mal zur Tafel einfinden, ohne gebeten zu seyn und ohne wider den Wohlstand zu verfehlen. Die Liberalität der Großen hierinn geht so weit, daß es gewiß kein seltner Fall ist, wenn der Wirth des Hauses diesen oder jenen Gast kaum dem Namen nach kennt. Der alte Graf Rasumowski sah täglich eine große Anzahl Leute an seinem Tisch, von denen ihm die meh- resten einmal empfohlen waren und also freyen Zutritt hatten, ohne daß er sich weiter um sie bekümmerte. Ein fremder Offizier, der russi- sche Dienste suchte, erschien täglich an der Ta- fel des Grafen, und sah sich auf diese Weise bey einer großen Armuth im Stande zwey
Jahrszeiten mit den koͤſtlichſten und auserle- ſenſten Fruͤchten beſetzt; es giebt Große die in ihren Treibhaͤuſern jaͤhrlich gegen 20,000 Klafter Holz verbrauchen und ihren Gaͤrtner mit tauſend Rubeln bezahlen.
Eben die Gaſtfreyheit, welche den Mittel- ſtand in St. Petersburg auf eine ſo eigen- thuͤmliche Art auszeichnet, iſt auch unter den Großen und in noch hoͤherem Grade herrſchend. Wer einmal in einem Hauſe vorgeſtellt iſt und anſtaͤndig gekleidet erſcheint, kann ſich jedes- mal zur Tafel einfinden, ohne gebeten zu ſeyn und ohne wider den Wohlſtand zu verfehlen. Die Liberalitaͤt der Großen hierinn geht ſo weit, daß es gewiß kein ſeltner Fall iſt, wenn der Wirth des Hauſes dieſen oder jenen Gaſt kaum dem Namen nach kennt. Der alte Graf Raſumowski ſah taͤglich eine große Anzahl Leute an ſeinem Tiſch, von denen ihm die meh- reſten einmal empfohlen waren und alſo freyen Zutritt hatten, ohne daß er ſich weiter um ſie bekuͤmmerte. Ein fremder Offizier, der ruſſi- ſche Dienſte ſuchte, erſchien taͤglich an der Ta- fel des Grafen, und ſah ſich auf dieſe Weiſe bey einer großen Armuth im Stande zwey
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Jahrszeiten mit den koͤſtlichſten und auserle-
ſenſten Fruͤchten beſetzt; es giebt Große die
in ihren Treibhaͤuſern jaͤhrlich gegen 20,000
Klafter Holz verbrauchen und ihren Gaͤrtner
mit tauſend Rubeln bezahlen.
Eben die Gaſtfreyheit, welche den Mittel-
ſtand in St. Petersburg auf eine ſo eigen-
thuͤmliche Art auszeichnet, iſt auch unter den
Großen und in noch hoͤherem Grade herrſchend.
Wer einmal in einem Hauſe vorgeſtellt iſt und
anſtaͤndig gekleidet erſcheint, kann ſich jedes-
mal zur Tafel einfinden, ohne gebeten zu ſeyn
und ohne wider den Wohlſtand zu verfehlen.
Die Liberalitaͤt der Großen hierinn geht ſo
weit, daß es gewiß kein ſeltner Fall iſt, wenn
der Wirth des Hauſes dieſen oder jenen Gaſt
kaum dem Namen nach kennt. Der alte Graf
Raſumowski ſah taͤglich eine große Anzahl
Leute an ſeinem Tiſch, von denen ihm die meh-
reſten einmal empfohlen waren und alſo freyen
Zutritt hatten, ohne daß er ſich weiter um ſie
bekuͤmmerte. Ein fremder Offizier, der ruſſi-
ſche Dienſte ſuchte, erſchien taͤglich an der Ta-
fel des Grafen, und ſah ſich auf dieſe Weiſe
bey einer großen Armuth im Stande zwey
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/493>, abgerufen am 23.11.2024.
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