den und sich von dem Gelesenen Rechenschaft zu geben. Welch eine Quelle der lehrreichsten Selbstbeschäftigung, für den, der sie zu be- nutzen versteht!
Selbst jene unbestimmten Karaktere, die sich an Alles anschließen und durch nichts ge- fesselt werden, die heute verabscheuen was sie morgen entzückt, die sich überall und nirgend gefallen -- selbst diese finden hier ihren Stand- punkt. Mit eben der Leichtigkeit, mit welcher man Bekanntschaften macht, trennt man sie wieder. Nichts ist gewöhnlicher, als Leute die- ser Art plötzlich aus allen Zirkeln verschwin- den zu sehn, in denen sie vorher lebten. Sie suchen und finden dann neue, in welchen sie sich über kurz oder lang eben so wenig gefal- len. Niemand wird sie mit Vorwürfen ver- folgen, oder ihnen ihren Wankelmuth fühlbar machen, wenn sie wieder unter ihren alten Bekannten erscheinen.
So findet hier jeder seinen Antheil am Le- bensgenuß, von welchem Standpunkte er auch ausgehen und welche Forderungen er auch thun mag. Der Weltmann und der Sonder- ling, der Stutzer und der Philosoph, der Ge-
den und ſich von dem Geleſenen Rechenſchaft zu geben. Welch eine Quelle der lehrreichſten Selbſtbeſchaͤftigung, fuͤr den, der ſie zu be- nutzen verſteht!
Selbſt jene unbeſtimmten Karaktere, die ſich an Alles anſchließen und durch nichts ge- feſſelt werden, die heute verabſcheuen was ſie morgen entzuͤckt, die ſich uͤberall und nirgend gefallen — ſelbſt dieſe finden hier ihren Stand- punkt. Mit eben der Leichtigkeit, mit welcher man Bekanntſchaften macht, trennt man ſie wieder. Nichts iſt gewoͤhnlicher, als Leute die- ſer Art ploͤtzlich aus allen Zirkeln verſchwin- den zu ſehn, in denen ſie vorher lebten. Sie ſuchen und finden dann neue, in welchen ſie ſich uͤber kurz oder lang eben ſo wenig gefal- len. Niemand wird ſie mit Vorwuͤrfen ver- folgen, oder ihnen ihren Wankelmuth fuͤhlbar machen, wenn ſie wieder unter ihren alten Bekannten erſcheinen.
So findet hier jeder ſeinen Antheil am Le- bensgenuß, von welchem Standpunkte er auch ausgehen und welche Forderungen er auch thun mag. Der Weltmann und der Sonder- ling, der Stutzer und der Philoſoph, der Ge-
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den und ſich von dem Geleſenen Rechenſchaft
zu geben. Welch eine Quelle der lehrreichſten
Selbſtbeſchaͤftigung, fuͤr den, der ſie zu be-
nutzen verſteht!
Selbſt jene unbeſtimmten Karaktere, die
ſich an Alles anſchließen und durch nichts ge-
feſſelt werden, die heute verabſcheuen was ſie
morgen entzuͤckt, die ſich uͤberall und nirgend
gefallen — ſelbſt dieſe finden hier ihren Stand-
punkt. Mit eben der Leichtigkeit, mit welcher
man Bekanntſchaften macht, trennt man ſie
wieder. Nichts iſt gewoͤhnlicher, als Leute die-
ſer Art ploͤtzlich aus allen Zirkeln verſchwin-
den zu ſehn, in denen ſie vorher lebten. Sie
ſuchen und finden dann neue, in welchen ſie
ſich uͤber kurz oder lang eben ſo wenig gefal-
len. Niemand wird ſie mit Vorwuͤrfen ver-
folgen, oder ihnen ihren Wankelmuth fuͤhlbar
machen, wenn ſie wieder unter ihren alten
Bekannten erſcheinen.
So findet hier jeder ſeinen Antheil am Le-
bensgenuß, von welchem Standpunkte er auch
ausgehen und welche Forderungen er auch
thun mag. Der Weltmann und der Sonder-
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/474>, abgerufen am 23.11.2024.
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