nicht sehr schnell, aber doch zu billigem Preise, an den Ort seiner Bestimmung. Ueberall wird er mit der verwunderungsvollen Frage: wo sind Sie so lange gewesen? empfangen, und oft raubt ihm noch obenein die falsche Schaam den Trost, die wahre Ursache seines Außenbleibens zu nennen, und seinem Herzen Luft zu machen, das stets von Galle gegen den Herbst kocht. Desto dankbarer gegen die wohlthätige Kälte ist er der große Lobredner des Winters. Wettet man um den Zeitpunkt des Eisbruchs der Newa, so hält er es sicher- lich mit dem spätesten. -- Aber ach! der Gang der Natur läßt sich durch keine Wetten bestimmen. Der Frühling kommt, und mit ihm erneuen sich die Plagen des vergangenen Herbsts. Je heitrer die Sonne lächelt, desto finstrer wird die Stirne des Fußgängers. Der schmelzende Schnee überschwemmt die Stra- ßen und bildet stehende Seen und Bäche. Jetzt ist es unmöglich, zu Fuße zu gehn; aber auch in den kleinen niedrigen Schlitten, die sich zwischen den vorbeyrollenden Wagen durch- winden, setzt sich der arme Fußgänger der Ge- fahr aus, umgeworfen oder doch mit Koth
Zweiter Theil. F f
nicht ſehr ſchnell, aber doch zu billigem Preiſe, an den Ort ſeiner Beſtimmung. Ueberall wird er mit der verwunderungsvollen Frage: wo ſind Sie ſo lange geweſen? empfangen, und oft raubt ihm noch obenein die falſche Schaam den Troſt, die wahre Urſache ſeines Außenbleibens zu nennen, und ſeinem Herzen Luft zu machen, das ſtets von Galle gegen den Herbſt kocht. Deſto dankbarer gegen die wohlthaͤtige Kaͤlte iſt er der große Lobredner des Winters. Wettet man um den Zeitpunkt des Eisbruchs der Newa, ſo haͤlt er es ſicher- lich mit dem ſpaͤteſten. — Aber ach! der Gang der Natur laͤßt ſich durch keine Wetten beſtimmen. Der Fruͤhling kommt, und mit ihm erneuen ſich die Plagen des vergangenen Herbſts. Je heitrer die Sonne laͤchelt, deſto finſtrer wird die Stirne des Fußgaͤngers. Der ſchmelzende Schnee uͤberſchwemmt die Stra- ßen und bildet ſtehende Seen und Baͤche. Jetzt iſt es unmoͤglich, zu Fuße zu gehn; aber auch in den kleinen niedrigen Schlitten, die ſich zwiſchen den vorbeyrollenden Wagen durch- winden, ſetzt ſich der arme Fußgaͤnger der Ge- fahr aus, umgeworfen oder doch mit Koth
Zweiter Theil. F f
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nicht ſehr ſchnell, aber doch zu billigem Preiſe,
an den Ort ſeiner Beſtimmung. Ueberall
wird er mit der verwunderungsvollen Frage:
wo ſind Sie ſo lange geweſen? empfangen,
und oft raubt ihm noch obenein die falſche
Schaam den Troſt, die wahre Urſache ſeines
Außenbleibens zu nennen, und ſeinem Herzen
Luft zu machen, das ſtets von Galle gegen
den Herbſt kocht. Deſto dankbarer gegen die
wohlthaͤtige Kaͤlte iſt er der große Lobredner
des Winters. Wettet man um den Zeitpunkt
des Eisbruchs der Newa, ſo haͤlt er es ſicher-
lich mit dem ſpaͤteſten. — Aber ach! der
Gang der Natur laͤßt ſich durch keine Wetten
beſtimmen. Der Fruͤhling kommt, und mit
ihm erneuen ſich die Plagen des vergangenen
Herbſts. Je heitrer die Sonne laͤchelt, deſto
finſtrer wird die Stirne des Fußgaͤngers. Der
ſchmelzende Schnee uͤberſchwemmt die Stra-
ßen und bildet ſtehende Seen und Baͤche.
Jetzt iſt es unmoͤglich, zu Fuße zu gehn; aber
auch in den kleinen niedrigen Schlitten, die
ſich zwiſchen den vorbeyrollenden Wagen durch-
winden, ſetzt ſich der arme Fußgaͤnger der Ge-
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/467>, abgerufen am 27.11.2024.
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