andern Ländern ist der Sinn für Reinlichkeit und Eleganz nicht so allgemein, ein nachläßi- ger Anzug erregt daher weniger Aufmerksam- keit as hier. -- Die Equipage endlich ist we- niger eine Bedingung der Konvenienz, als ein Bedürfniß, welches aus den Unbequemlichkei- ten des Lokale entspringt, und dessen Noth- wendigkeit jeder selbst empfindet, der sich zur guten Gesellschaft rechnet und die Freuden nicht entbehren will, die ihn in den Zirkeln der feinen Welt erwarten. In diesen als Fuß- gänger zu erscheinen, ist zu gewissen Jahrs- zeiten völlig unmöglich. Ueberall in der Welt ist es kein glänzendes Loos zu Fuße zu gehn, aber nirgend geht sichs schlechter als hier.
Der Winter ist die goldne Zeit des Fuß- gängers; auch segnet er den fallenden Schnee, der ihm die mühselige Bahn seiner Wallfahr- ten erleichtert und ebnet. Alsdann sucht er seine bessere Kleidung hervor, erscheint seit lan- ger Zeit zum erstenmal wieder in Schuhen, und eilt halbvergessene Bekanntschaften wieder anzuknüpfen, die ihn die böse Jahrszeit zu un- terbrechen zwang. Hat er weite Wege zu machen, so bringt ein Iwannuschka ihn, zwar
nicht
andern Laͤndern iſt der Sinn fuͤr Reinlichkeit und Eleganz nicht ſo allgemein, ein nachlaͤßi- ger Anzug erregt daher weniger Aufmerkſam- keit as hier. — Die Equipage endlich iſt we- niger eine Bedingung der Konvenienz, als ein Beduͤrfniß, welches aus den Unbequemlichkei- ten des Lokale entſpringt, und deſſen Noth- wendigkeit jeder ſelbſt empfindet, der ſich zur guten Geſellſchaft rechnet und die Freuden nicht entbehren will, die ihn in den Zirkeln der feinen Welt erwarten. In dieſen als Fuß- gaͤnger zu erſcheinen, iſt zu gewiſſen Jahrs- zeiten voͤllig unmoͤglich. Ueberall in der Welt iſt es kein glaͤnzendes Loos zu Fuße zu gehn, aber nirgend geht ſichs ſchlechter als hier.
Der Winter iſt die goldne Zeit des Fuß- gaͤngers; auch ſegnet er den fallenden Schnee, der ihm die muͤhſelige Bahn ſeiner Wallfahr- ten erleichtert und ebnet. Alsdann ſucht er ſeine beſſere Kleidung hervor, erſcheint ſeit lan- ger Zeit zum erſtenmal wieder in Schuhen, und eilt halbvergeſſene Bekanntſchaften wieder anzuknuͤpfen, die ihn die boͤſe Jahrszeit zu un- terbrechen zwang. Hat er weite Wege zu machen, ſo bringt ein Iwannuſchka ihn, zwar
nicht
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andern Laͤndern iſt der Sinn fuͤr Reinlichkeit
und Eleganz nicht ſo allgemein, ein nachlaͤßi-
ger Anzug erregt daher weniger Aufmerkſam-
keit as hier. — Die Equipage endlich iſt we-
niger eine Bedingung der Konvenienz, als ein
Beduͤrfniß, welches aus den Unbequemlichkei-
ten des Lokale entſpringt, und deſſen Noth-
wendigkeit jeder ſelbſt empfindet, der ſich zur
guten Geſellſchaft rechnet und die Freuden nicht
entbehren will, die ihn in den Zirkeln der
feinen Welt erwarten. In dieſen als Fuß-
gaͤnger zu erſcheinen, iſt zu gewiſſen Jahrs-
zeiten voͤllig unmoͤglich. Ueberall in der Welt
iſt es kein glaͤnzendes Loos zu Fuße zu gehn,
aber nirgend geht ſichs ſchlechter als hier.
Der Winter iſt die goldne Zeit des Fuß-
gaͤngers; auch ſegnet er den fallenden Schnee,
der ihm die muͤhſelige Bahn ſeiner Wallfahr-
ten erleichtert und ebnet. Alsdann ſucht er
ſeine beſſere Kleidung hervor, erſcheint ſeit lan-
ger Zeit zum erſtenmal wieder in Schuhen,
und eilt halbvergeſſene Bekanntſchaften wieder
anzuknuͤpfen, die ihn die boͤſe Jahrszeit zu un-
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/466>, abgerufen am 23.11.2024.
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