gebräuchliche deutsche ersetzen lassen. Aber so hört man fast überall: Tschulan statt Vor- rathskammer, Krischka statt Ofendeckel, Luzkoi statt Volksstube, Agarodnik statt Küchengärt- ner, Liteina statt Stückhof, oder wohl gar: "Befehlen Sie Kaffe mit oder ohne Slifki (Sahne, Schmand)? Es fehlt ein Pribor (Gedeck)" u. s. w. Daß die hier gebornen Deutschen eine Menge Ruthenismen in ihre Sprache verwebt haben, läßt sich ohnehin er- warten. Die Redensarten: "ich liebe nicht das zu essen; er hat es an mich gesagt" und dergleichen mehr sind zuweilen sogar unter ge- bildeten Leuten üblich. Deutsche Provinzialis- men hört man seltner, und der Accent wird durch das Zusammenschmelzen so vieler Dia- lekte eigenthümlich sanft und wohlklingend.
Hier ist der Ort, einer liebenswürdigen Nationalsitte zu erwähnen, die sich auch unter den Deutschen verbreitet hat, und welche vor- züglich viel dazu beyträgt, den Ton des Ge- sprächs freundschaftlich und zwanglos zu ma- chen, und Menschen von entfernten Ständen und Altern, wenigstens dem Anschein nach, näher zu bringen. Es ist unter den Russen
gebraͤuchliche deutſche erſetzen laſſen. Aber ſo hoͤrt man faſt uͤberall: Tſchulan ſtatt Vor- rathskammer, Kriſchka ſtatt Ofendeckel, Luzkoi ſtatt Volksſtube, Agarodnik ſtatt Kuͤchengaͤrt- ner, Liteina ſtatt Stuͤckhof, oder wohl gar: „Befehlen Sie Kaffe mit oder ohne Slifki (Sahne, Schmand)? Es fehlt ein Pribor (Gedeck)“ u. ſ. w. Daß die hier gebornen Deutſchen eine Menge Ruthenismen in ihre Sprache verwebt haben, laͤßt ſich ohnehin er- warten. Die Redensarten: „ich liebe nicht das zu eſſen; er hat es an mich geſagt“ und dergleichen mehr ſind zuweilen ſogar unter ge- bildeten Leuten uͤblich. Deutſche Provinzialis- men hoͤrt man ſeltner, und der Accent wird durch das Zuſammenſchmelzen ſo vieler Dia- lekte eigenthuͤmlich ſanft und wohlklingend.
Hier iſt der Ort, einer liebenswuͤrdigen Nationalſitte zu erwaͤhnen, die ſich auch unter den Deutſchen verbreitet hat, und welche vor- zuͤglich viel dazu beytraͤgt, den Ton des Ge- ſpraͤchs freundſchaftlich und zwanglos zu ma- chen, und Menſchen von entfernten Staͤnden und Altern, wenigſtens dem Anſchein nach, naͤher zu bringen. Es iſt unter den Ruſſen
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gebraͤuchliche deutſche erſetzen laſſen. Aber ſo
hoͤrt man faſt uͤberall: Tſchulan ſtatt Vor-
rathskammer, Kriſchka ſtatt Ofendeckel, Luzkoi
ſtatt Volksſtube, Agarodnik ſtatt Kuͤchengaͤrt-
ner, Liteina ſtatt Stuͤckhof, oder wohl gar:
„Befehlen Sie Kaffe mit oder ohne Slifki
(Sahne, Schmand)? Es fehlt ein Pribor
(Gedeck)“ u. ſ. w. Daß die hier gebornen
Deutſchen eine Menge Ruthenismen in ihre
Sprache verwebt haben, laͤßt ſich ohnehin er-
warten. Die Redensarten: „ich liebe nicht
das zu eſſen; er hat es an mich geſagt“ und
dergleichen mehr ſind zuweilen ſogar unter ge-
bildeten Leuten uͤblich. Deutſche Provinzialis-
men hoͤrt man ſeltner, und der Accent wird
durch das Zuſammenſchmelzen ſo vieler Dia-
lekte eigenthuͤmlich ſanft und wohlklingend.
Hier iſt der Ort, einer liebenswuͤrdigen
Nationalſitte zu erwaͤhnen, die ſich auch unter
den Deutſchen verbreitet hat, und welche vor-
zuͤglich viel dazu beytraͤgt, den Ton des Ge-
ſpraͤchs freundſchaftlich und zwanglos zu ma-
chen, und Menſchen von entfernten Staͤnden
und Altern, wenigſtens dem Anſchein nach,
naͤher zu bringen. Es iſt unter den Ruſſen
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/458>, abgerufen am 23.11.2024.
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