Unterhaltung die Farbe. Der Vortheil, der hieraus entspringt, ist von großem Werthe; selten oder niemals erhebt sich eine disputir- süchtige Stimme, die allein gehört zu werden verlangt; der Egoismus, der dem Gelehrten vom Metier überall anklebt, verschmilzt in eine kosmopolitische Nachgiebigkeit, und statt der chrienmäßigen Auseinandersetzung eines wis- senschaftlichen Streitpunkts hört man freund- schaftliche, im Konversationston vorgetragene Debatten, bey denen die gute Laune der Gründlichkeit den Schleyer umzuwerfen sucht. Zirkel dieser Art, die freylich überall zu den seltnern gehören, sind der befriedigendste Ge- nuß für den Mann von Kopf und Herz, der von seinem ernstern Tagewerk ermüdet, auch in seinen Erholungen Gewinn für beyde sucht.
So viel über den Stoff unserer Konversa- tion, und nun ein Wort über die Form der- selben. So mannigfaltig jener durch die Mi- schung der Stände und Karaktere wird, ein so buntes Ansehn erhält diese durch die Viel- heit der Sprachen die man in Gesellschaften hört. In allen großen Städten giebt es Aus-
Unterhaltung die Farbe. Der Vortheil, der hieraus entſpringt, iſt von großem Werthe; ſelten oder niemals erhebt ſich eine disputir- ſuͤchtige Stimme, die allein gehoͤrt zu werden verlangt; der Egoismus, der dem Gelehrten vom Metier uͤberall anklebt, verſchmilzt in eine kosmopolitiſche Nachgiebigkeit, und ſtatt der chrienmaͤßigen Auseinanderſetzung eines wiſ- ſenſchaftlichen Streitpunkts hoͤrt man freund- ſchaftliche, im Konverſationston vorgetragene Debatten, bey denen die gute Laune der Gruͤndlichkeit den Schleyer umzuwerfen ſucht. Zirkel dieſer Art, die freylich uͤberall zu den ſeltnern gehoͤren, ſind der befriedigendſte Ge- nuß fuͤr den Mann von Kopf und Herz, der von ſeinem ernſtern Tagewerk ermuͤdet, auch in ſeinen Erholungen Gewinn fuͤr beyde ſucht.
So viel uͤber den Stoff unſerer Konverſa- tion, und nun ein Wort uͤber die Form der- ſelben. So mannigfaltig jener durch die Mi- ſchung der Staͤnde und Karaktere wird, ein ſo buntes Anſehn erhaͤlt dieſe durch die Viel- heit der Sprachen die man in Geſellſchaften hoͤrt. In allen großen Staͤdten giebt es Aus-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0452"n="434"/>
Unterhaltung die Farbe. Der Vortheil, der<lb/>
hieraus entſpringt, iſt von großem Werthe;<lb/>ſelten oder niemals erhebt ſich eine disputir-<lb/>ſuͤchtige Stimme, die allein gehoͤrt zu werden<lb/>
verlangt; der Egoismus, der dem Gelehrten<lb/>
vom Metier uͤberall anklebt, verſchmilzt in<lb/>
eine kosmopolitiſche Nachgiebigkeit, und ſtatt<lb/>
der chrienmaͤßigen Auseinanderſetzung eines wiſ-<lb/>ſenſchaftlichen Streitpunkts hoͤrt man freund-<lb/>ſchaftliche, im Konverſationston vorgetragene<lb/>
Debatten, bey denen die gute Laune der<lb/>
Gruͤndlichkeit den Schleyer umzuwerfen ſucht.<lb/>
Zirkel dieſer Art, die freylich uͤberall zu den<lb/>ſeltnern gehoͤren, ſind der befriedigendſte Ge-<lb/>
nuß fuͤr den Mann von Kopf und Herz, der<lb/>
von ſeinem ernſtern Tagewerk ermuͤdet, auch<lb/>
in ſeinen Erholungen Gewinn fuͤr beyde<lb/>ſucht.</p><lb/><p>So viel uͤber den Stoff unſerer Konverſa-<lb/>
tion, und nun ein Wort uͤber die Form der-<lb/>ſelben. So mannigfaltig jener durch die Mi-<lb/>ſchung der Staͤnde und Karaktere wird, ein<lb/>ſo buntes Anſehn erhaͤlt dieſe durch die Viel-<lb/>
heit der Sprachen die man in Geſellſchaften<lb/>
hoͤrt. In allen großen Staͤdten giebt es Aus-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[434/0452]
Unterhaltung die Farbe. Der Vortheil, der
hieraus entſpringt, iſt von großem Werthe;
ſelten oder niemals erhebt ſich eine disputir-
ſuͤchtige Stimme, die allein gehoͤrt zu werden
verlangt; der Egoismus, der dem Gelehrten
vom Metier uͤberall anklebt, verſchmilzt in
eine kosmopolitiſche Nachgiebigkeit, und ſtatt
der chrienmaͤßigen Auseinanderſetzung eines wiſ-
ſenſchaftlichen Streitpunkts hoͤrt man freund-
ſchaftliche, im Konverſationston vorgetragene
Debatten, bey denen die gute Laune der
Gruͤndlichkeit den Schleyer umzuwerfen ſucht.
Zirkel dieſer Art, die freylich uͤberall zu den
ſeltnern gehoͤren, ſind der befriedigendſte Ge-
nuß fuͤr den Mann von Kopf und Herz, der
von ſeinem ernſtern Tagewerk ermuͤdet, auch
in ſeinen Erholungen Gewinn fuͤr beyde
ſucht.
So viel uͤber den Stoff unſerer Konverſa-
tion, und nun ein Wort uͤber die Form der-
ſelben. So mannigfaltig jener durch die Mi-
ſchung der Staͤnde und Karaktere wird, ein
ſo buntes Anſehn erhaͤlt dieſe durch die Viel-
heit der Sprachen die man in Geſellſchaften
hoͤrt. In allen großen Staͤdten giebt es Aus-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/452>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.