chen Karaktere eben so sehr, als es die indivi- duellen hervorstechend macht; aber man zeige uns das Mittel, in einem zahlreichen gemisch- ten Zirkel den gesellschaftlichen Ton mit den Launen jedes Einzelnen übereinstimmend zu machen. Das Opfer, das Jeder der Gesell- schaft bringt, ist eben so freywillig, als der Entschluß, durch welchen man die Dauer des- selben bestimmt. Hier findet kein Bitten, kein Nöthigen statt; wer sich in einem Hause ge- fällt, geht so oft dahin, als er es seiner Kon- venienz angemessen findet, ohne in dem einen Fall verdrüßliche Minen über allzuoft wieder- holte Besuche, oder in dem andern kleinstädti- sche Vorwürfe wegen seines langen Aussenblei- bens befürchten zu dürfen, wenn er in beyden Fällen nicht das Maaß überschreitet, welches durch den herrschenden Gebrauch oder durch leicht zu fühlende Privatverhältnisse gesteckt ist. Kein Etikettegesetz bestimmt die Dauer des Besuchs oder die Art und Weise des Ab- schiednehmens. Man kömmt als ein ungebe- tener aber erwarteter Gast; man bleibt, so lange man sich gefällt, und man entfernt sich gewöhnlich in der Stille, ohne durch ein ge-
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chen Karaktere eben ſo ſehr, als es die indivi- duellen hervorſtechend macht; aber man zeige uns das Mittel, in einem zahlreichen gemiſch- ten Zirkel den geſellſchaftlichen Ton mit den Launen jedes Einzelnen uͤbereinſtimmend zu machen. Das Opfer, das Jeder der Geſell- ſchaft bringt, iſt eben ſo freywillig, als der Entſchluß, durch welchen man die Dauer deſ- ſelben beſtimmt. Hier findet kein Bitten, kein Noͤthigen ſtatt; wer ſich in einem Hauſe ge- faͤllt, geht ſo oft dahin, als er es ſeiner Kon- venienz angemeſſen findet, ohne in dem einen Fall verdruͤßliche Minen uͤber allzuoft wieder- holte Beſuche, oder in dem andern kleinſtaͤdti- ſche Vorwuͤrfe wegen ſeines langen Auſſenblei- bens befuͤrchten zu duͤrfen, wenn er in beyden Faͤllen nicht das Maaß uͤberſchreitet, welches durch den herrſchenden Gebrauch oder durch leicht zu fuͤhlende Privatverhaͤltniſſe geſteckt iſt. Kein Etikettegeſetz beſtimmt die Dauer des Beſuchs oder die Art und Weiſe des Ab- ſchiednehmens. Man koͤmmt als ein ungebe- tener aber erwarteter Gaſt; man bleibt, ſo lange man ſich gefaͤllt, und man entfernt ſich gewoͤhnlich in der Stille, ohne durch ein ge-
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chen Karaktere eben ſo ſehr, als es die indivi-
duellen hervorſtechend macht; aber man zeige
uns das Mittel, in einem zahlreichen gemiſch-
ten Zirkel den geſellſchaftlichen Ton mit den
Launen jedes Einzelnen uͤbereinſtimmend zu
machen. Das Opfer, das Jeder der Geſell-
ſchaft bringt, iſt eben ſo freywillig, als der
Entſchluß, durch welchen man die Dauer deſ-
ſelben beſtimmt. Hier findet kein Bitten, kein
Noͤthigen ſtatt; wer ſich in einem Hauſe ge-
faͤllt, geht ſo oft dahin, als er es ſeiner Kon-
venienz angemeſſen findet, ohne in dem einen
Fall verdruͤßliche Minen uͤber allzuoft wieder-
holte Beſuche, oder in dem andern kleinſtaͤdti-
ſche Vorwuͤrfe wegen ſeines langen Auſſenblei-
bens befuͤrchten zu duͤrfen, wenn er in beyden
Faͤllen nicht das Maaß uͤberſchreitet, welches
durch den herrſchenden Gebrauch oder durch
leicht zu fuͤhlende Privatverhaͤltniſſe geſteckt
iſt. Kein Etikettegeſetz beſtimmt die Dauer
des Beſuchs oder die Art und Weiſe des Ab-
ſchiednehmens. Man koͤmmt als ein ungebe-
tener aber erwarteter Gaſt; man bleibt, ſo
lange man ſich gefaͤllt, und man entfernt ſich
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/443>, abgerufen am 23.11.2024.
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