Nach so vielen Zeugnissen über den Luxus der in allen Theilen der petersburgischen Le- bensart herrscht, wird man zum Voraus er- warten, daß die Bewohner der Residenz auch im Kleideraufwande nicht zurückgeblieben sind. In der männlichen Kleidung ist seit einigen Jahren der englische Geschmack herrschend. In allen Gesellschaften kann man im Frak und Gillet erscheinen, einzelne Fälle ausgenommen, wo die Achtung gegen Höhere eine etikettemä- ßige Kleidung erfordert. So bequem diese Sitte scheint, so kostspielig ist sie doch, wegen des schnellen Wechsels der Moden, wenn man den kindischen Ehrgeiz hat, diesen überall fol- gen zu wollen. Nirgend jedoch ist diese Thor- heit weniger verführerisch als hier, da Jeder- mann sich nach seiner Laune kleiden kann, ohne lächerlich zu werden. Neue Trachten die an Uebertreibung gränzen, werden nicht leicht all- gemein, und überhaupt beobachtet das weibli- che sowol als das männliche Publikum im Ganzen hierinn ein gewisses Dekorum, das ihm in den Augen aller vernünftigen Beobach- ter sehr zur Ehre gereicht. Die groteske Pracht, in welcher sich die Stutzer einiger
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Nach ſo vielen Zeugniſſen uͤber den Luxus der in allen Theilen der petersburgiſchen Le- bensart herrſcht, wird man zum Voraus er- warten, daß die Bewohner der Reſidenz auch im Kleideraufwande nicht zuruͤckgeblieben ſind. In der maͤnnlichen Kleidung iſt ſeit einigen Jahren der engliſche Geſchmack herrſchend. In allen Geſellſchaften kann man im Frak und Gillet erſcheinen, einzelne Faͤlle ausgenommen, wo die Achtung gegen Hoͤhere eine etikettemaͤ- ßige Kleidung erfordert. So bequem dieſe Sitte ſcheint, ſo koſtſpielig iſt ſie doch, wegen des ſchnellen Wechſels der Moden, wenn man den kindiſchen Ehrgeiz hat, dieſen uͤberall fol- gen zu wollen. Nirgend jedoch iſt dieſe Thor- heit weniger verfuͤhreriſch als hier, da Jeder- mann ſich nach ſeiner Laune kleiden kann, ohne laͤcherlich zu werden. Neue Trachten die an Uebertreibung graͤnzen, werden nicht leicht all- gemein, und uͤberhaupt beobachtet das weibli- che ſowol als das maͤnnliche Publikum im Ganzen hierinn ein gewiſſes Dekorum, das ihm in den Augen aller vernuͤnftigen Beobach- ter ſehr zur Ehre gereicht. Die groteske Pracht, in welcher ſich die Stutzer einiger
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[403/0421]
Nach ſo vielen Zeugniſſen uͤber den Luxus
der in allen Theilen der petersburgiſchen Le-
bensart herrſcht, wird man zum Voraus er-
warten, daß die Bewohner der Reſidenz auch
im Kleideraufwande nicht zuruͤckgeblieben ſind.
In der maͤnnlichen Kleidung iſt ſeit einigen
Jahren der engliſche Geſchmack herrſchend.
In allen Geſellſchaften kann man im Frak und
Gillet erſcheinen, einzelne Faͤlle ausgenommen,
wo die Achtung gegen Hoͤhere eine etikettemaͤ-
ßige Kleidung erfordert. So bequem dieſe
Sitte ſcheint, ſo koſtſpielig iſt ſie doch, wegen
des ſchnellen Wechſels der Moden, wenn man
den kindiſchen Ehrgeiz hat, dieſen uͤberall fol-
gen zu wollen. Nirgend jedoch iſt dieſe Thor-
heit weniger verfuͤhreriſch als hier, da Jeder-
mann ſich nach ſeiner Laune kleiden kann, ohne
laͤcherlich zu werden. Neue Trachten die an
Uebertreibung graͤnzen, werden nicht leicht all-
gemein, und uͤberhaupt beobachtet das weibli-
che ſowol als das maͤnnliche Publikum im
Ganzen hierinn ein gewiſſes Dekorum, das
ihm in den Augen aller vernuͤnftigen Beobach-
ter ſehr zur Ehre gereicht. Die groteske
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/421>, abgerufen am 23.11.2024.
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