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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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Gesellschaft aufzuschwingen, und der junge
Mensch, der ein reicher Schneider oder Tischler
geworden wäre und sein Gewerbe im Großen
hätte fortsetzen können, zehrt als Offizier oder
Kanzelleybediente von der Arbeitsamkeit und
Industrie seines Vaters. Dieses Emporstre-
ben ist auch die Leidenschaft der Weiber, und
wird von der Denkungsart des Publikums
begünstigt, welches auf die Rangordnung des
Herkommens überall keinen großen Werth setzt.
Die Tochter eines Handwerkers, bey welcher
auf eine gute Mitgift zu rechnen ist, findet
immer eine Versorgung in den höhern Stän-
den; die Söhne rücken durch Talent oder Pro-
tektion in ansehnliche Militair- und Civilstel-
len; selbst der Vater, wenn er seiner Scheere
oder seines Hobels überdrüßig wird, stempelt
sich zum Kaufmann um.

Die Erziehung in wohlhabenden Häusern
dieser Art ist der Absicht angemessen, zu wel-
cher die Kinder gewöhnlich bestimmt sind. Die
Söhne lernen mehrere Sprachen plaudern, die
Töchter widmen sich der Musik und allen hol-
den und gefallenden Künsten. Zuweilen wird
jenen ein Reitpferd und diesen eine Gouver-

Geſellſchaft aufzuſchwingen, und der junge
Menſch, der ein reicher Schneider oder Tiſchler
geworden waͤre und ſein Gewerbe im Großen
haͤtte fortſetzen koͤnnen, zehrt als Offizier oder
Kanzelleybediente von der Arbeitſamkeit und
Induſtrie ſeines Vaters. Dieſes Emporſtre-
ben iſt auch die Leidenſchaft der Weiber, und
wird von der Denkungsart des Publikums
beguͤnſtigt, welches auf die Rangordnung des
Herkommens uͤberall keinen großen Werth ſetzt.
Die Tochter eines Handwerkers, bey welcher
auf eine gute Mitgift zu rechnen iſt, findet
immer eine Verſorgung in den hoͤhern Staͤn-
den; die Soͤhne ruͤcken durch Talent oder Pro-
tektion in anſehnliche Militair- und Civilſtel-
len; ſelbſt der Vater, wenn er ſeiner Scheere
oder ſeines Hobels uͤberdruͤßig wird, ſtempelt
ſich zum Kaufmann um.

Die Erziehung in wohlhabenden Haͤuſern
dieſer Art iſt der Abſicht angemeſſen, zu wel-
cher die Kinder gewoͤhnlich beſtimmt ſind. Die
Soͤhne lernen mehrere Sprachen plaudern, die
Toͤchter widmen ſich der Muſik und allen hol-
den und gefallenden Kuͤnſten. Zuweilen wird
jenen ein Reitpferd und dieſen eine Gouver-

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[386/0404] Geſellſchaft aufzuſchwingen, und der junge Menſch, der ein reicher Schneider oder Tiſchler geworden waͤre und ſein Gewerbe im Großen haͤtte fortſetzen koͤnnen, zehrt als Offizier oder Kanzelleybediente von der Arbeitſamkeit und Induſtrie ſeines Vaters. Dieſes Emporſtre- ben iſt auch die Leidenſchaft der Weiber, und wird von der Denkungsart des Publikums beguͤnſtigt, welches auf die Rangordnung des Herkommens uͤberall keinen großen Werth ſetzt. Die Tochter eines Handwerkers, bey welcher auf eine gute Mitgift zu rechnen iſt, findet immer eine Verſorgung in den hoͤhern Staͤn- den; die Soͤhne ruͤcken durch Talent oder Pro- tektion in anſehnliche Militair- und Civilſtel- len; ſelbſt der Vater, wenn er ſeiner Scheere oder ſeines Hobels uͤberdruͤßig wird, ſtempelt ſich zum Kaufmann um. Die Erziehung in wohlhabenden Haͤuſern dieſer Art iſt der Abſicht angemeſſen, zu wel- cher die Kinder gewoͤhnlich beſtimmt ſind. Die Soͤhne lernen mehrere Sprachen plaudern, die Toͤchter widmen ſich der Muſik und allen hol- den und gefallenden Kuͤnſten. Zuweilen wird jenen ein Reitpferd und dieſen eine Gouver-

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/404>, abgerufen am 23.11.2024.