aufdringen kann. Das Verhältniß des Wohl- standes der verschiedenen Volksklassen läßt sich allerdings nach keinem systematischen Typus modeln; aber wenn einmal von Idealen die Rede ist, so dürfte vielleicht der Zustand die größte Zustimmung in dem unsichtbaren Areo- pagus der Weisen und Guten erhalten, in wel- chem das Volk, bey einem menschlich zugewo- genen Antheil von Lebensgenuß, noch Sporn genug zu fortschreitender Thätigkeit behielte. Diesen Sporn, dessen Nothwendigkeit alle Kenner der menschlichen Natur gerne eingeste- hen werden, giebt Bedürfniß und Eigenthum her.
Ich habe da ein großes Wort gesagt, das mich auf meinen Gegenstand zurückführt. Für das Bedürfniß, höre ich meine Leser rufen, sorgt sichs wol, wo das Eigenthum fehlt! -- Es ist wahr, daß die unterste Volksklasse der russischen Nation kein Eigenthum besitzt, wel- ches durch Staatsverfassung oder Gesetze ge- gen Eingriffe der willkührlichen Gewalt sicher gestellt wäre; aber ich getraue mir zu behaup- ten, daß sie deswegen um nichts unglücklicher genannt werden kann, als die große Masse des
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aufdringen kann. Das Verhaͤltniß des Wohl- ſtandes der verſchiedenen Volksklaſſen laͤßt ſich allerdings nach keinem ſyſtematiſchen Typus modeln; aber wenn einmal von Idealen die Rede iſt, ſo duͤrfte vielleicht der Zuſtand die groͤßte Zuſtimmung in dem unſichtbaren Areo- pagus der Weiſen und Guten erhalten, in wel- chem das Volk, bey einem menſchlich zugewo- genen Antheil von Lebensgenuß, noch Sporn genug zu fortſchreitender Thaͤtigkeit behielte. Dieſen Sporn, deſſen Nothwendigkeit alle Kenner der menſchlichen Natur gerne eingeſte- hen werden, giebt Beduͤrfniß und Eigenthum her.
Ich habe da ein großes Wort geſagt, das mich auf meinen Gegenſtand zuruͤckfuͤhrt. Fuͤr das Beduͤrfniß, hoͤre ich meine Leſer rufen, ſorgt ſichs wol, wo das Eigenthum fehlt! — Es iſt wahr, daß die unterſte Volksklaſſe der ruſſiſchen Nation kein Eigenthum beſitzt, wel- ches durch Staatsverfaſſung oder Geſetze ge- gen Eingriffe der willkuͤhrlichen Gewalt ſicher geſtellt waͤre; aber ich getraue mir zu behaup- ten, daß ſie deswegen um nichts ungluͤcklicher genannt werden kann, als die große Maſſe des
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aufdringen kann. Das Verhaͤltniß des Wohl-
ſtandes der verſchiedenen Volksklaſſen laͤßt ſich
allerdings nach keinem ſyſtematiſchen Typus
modeln; aber wenn einmal von Idealen die
Rede iſt, ſo duͤrfte vielleicht der Zuſtand die
groͤßte Zuſtimmung in dem unſichtbaren Areo-
pagus der Weiſen und Guten erhalten, in wel-
chem das Volk, bey einem menſchlich zugewo-
genen Antheil von Lebensgenuß, noch Sporn
genug zu fortſchreitender Thaͤtigkeit behielte.
Dieſen Sporn, deſſen Nothwendigkeit alle
Kenner der menſchlichen Natur gerne eingeſte-
hen werden, giebt Beduͤrfniß und Eigenthum
her.
Ich habe da ein großes Wort geſagt, das
mich auf meinen Gegenſtand zuruͤckfuͤhrt. Fuͤr
das Beduͤrfniß, hoͤre ich meine Leſer rufen,
ſorgt ſichs wol, wo das Eigenthum fehlt! —
Es iſt wahr, daß die unterſte Volksklaſſe der
ruſſiſchen Nation kein Eigenthum beſitzt, wel-
ches durch Staatsverfaſſung oder Geſetze ge-
gen Eingriffe der willkuͤhrlichen Gewalt ſicher
geſtellt waͤre; aber ich getraue mir zu behaup-
ten, daß ſie deswegen um nichts ungluͤcklicher
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/393>, abgerufen am 25.11.2024.
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