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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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Sitte; aber kein fremder Beobachter, der nur
einige Tage hier gelebt hat, wird durch diese
Aehnlichkeit verführt werden, sie mit Russen
zu verwechseln. Der zerrissene Rock und die
überall hervorstechende Unsauberkeit stempeln
sie auf eine so unterscheidende Weise, daß man
nicht einmal den trägen Gang und die Natio-
nalphysiognomie zu bemerken braucht, um in
ihrer Erkennung gewiß zu seyn. Die Weiber
und Mädchen kleiden sich mehr nach deutschem
Geschmack, und behaupten, selbst unter diesem
verwahrloseten Menschenstamm, den feinern
Sinn für Reinlichkeit und Ordnung, der dem
schönern und sanftern Geschlechte vorzugsweise
eigen zu seyn scheint. In der Zubereitung ih-
rer Speisen weichen die Finnen zwar von den
Russen ab; aber wo sie mit diesen gemein-
schaftlich leben, da sind sie auch mit russischer
Kost zufrieden. Die Liebhaberey für starke
Getränke ist bey ihnen eben so allgemein, doch
ohne den Luxus, dessen vorhin erwähnt wurde,
weil ihre Armuth sie nur auf die einfachste
Befriedigung ihrer Bedürfnisse einschränkt.

Wir haben in diesem und mehreren vor-
hergehenden Abschnitten die Bedürfnisse, die

Sitte; aber kein fremder Beobachter, der nur
einige Tage hier gelebt hat, wird durch dieſe
Aehnlichkeit verfuͤhrt werden, ſie mit Ruſſen
zu verwechſeln. Der zerriſſene Rock und die
uͤberall hervorſtechende Unſauberkeit ſtempeln
ſie auf eine ſo unterſcheidende Weiſe, daß man
nicht einmal den traͤgen Gang und die Natio-
nalphyſiognomie zu bemerken braucht, um in
ihrer Erkennung gewiß zu ſeyn. Die Weiber
und Maͤdchen kleiden ſich mehr nach deutſchem
Geſchmack, und behaupten, ſelbſt unter dieſem
verwahrloſeten Menſchenſtamm, den feinern
Sinn fuͤr Reinlichkeit und Ordnung, der dem
ſchoͤnern und ſanftern Geſchlechte vorzugsweiſe
eigen zu ſeyn ſcheint. In der Zubereitung ih-
rer Speiſen weichen die Finnen zwar von den
Ruſſen ab; aber wo ſie mit dieſen gemein-
ſchaftlich leben, da ſind ſie auch mit ruſſiſcher
Koſt zufrieden. Die Liebhaberey fuͤr ſtarke
Getraͤnke iſt bey ihnen eben ſo allgemein, doch
ohne den Luxus, deſſen vorhin erwaͤhnt wurde,
weil ihre Armuth ſie nur auf die einfachſte
Befriedigung ihrer Beduͤrfniſſe einſchraͤnkt.

Wir haben in dieſem und mehreren vor-
hergehenden Abſchnitten die Beduͤrfniſſe, die

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[372/0390] Sitte; aber kein fremder Beobachter, der nur einige Tage hier gelebt hat, wird durch dieſe Aehnlichkeit verfuͤhrt werden, ſie mit Ruſſen zu verwechſeln. Der zerriſſene Rock und die uͤberall hervorſtechende Unſauberkeit ſtempeln ſie auf eine ſo unterſcheidende Weiſe, daß man nicht einmal den traͤgen Gang und die Natio- nalphyſiognomie zu bemerken braucht, um in ihrer Erkennung gewiß zu ſeyn. Die Weiber und Maͤdchen kleiden ſich mehr nach deutſchem Geſchmack, und behaupten, ſelbſt unter dieſem verwahrloſeten Menſchenſtamm, den feinern Sinn fuͤr Reinlichkeit und Ordnung, der dem ſchoͤnern und ſanftern Geſchlechte vorzugsweiſe eigen zu ſeyn ſcheint. In der Zubereitung ih- rer Speiſen weichen die Finnen zwar von den Ruſſen ab; aber wo ſie mit dieſen gemein- ſchaftlich leben, da ſind ſie auch mit ruſſiſcher Koſt zufrieden. Die Liebhaberey fuͤr ſtarke Getraͤnke iſt bey ihnen eben ſo allgemein, doch ohne den Luxus, deſſen vorhin erwaͤhnt wurde, weil ihre Armuth ſie nur auf die einfachſte Befriedigung ihrer Beduͤrfniſſe einſchraͤnkt. Wir haben in dieſem und mehreren vor- hergehenden Abſchnitten die Beduͤrfniſſe, die

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/390>, abgerufen am 23.11.2024.