Sitte; aber kein fremder Beobachter, der nur einige Tage hier gelebt hat, wird durch diese Aehnlichkeit verführt werden, sie mit Russen zu verwechseln. Der zerrissene Rock und die überall hervorstechende Unsauberkeit stempeln sie auf eine so unterscheidende Weise, daß man nicht einmal den trägen Gang und die Natio- nalphysiognomie zu bemerken braucht, um in ihrer Erkennung gewiß zu seyn. Die Weiber und Mädchen kleiden sich mehr nach deutschem Geschmack, und behaupten, selbst unter diesem verwahrloseten Menschenstamm, den feinern Sinn für Reinlichkeit und Ordnung, der dem schönern und sanftern Geschlechte vorzugsweise eigen zu seyn scheint. In der Zubereitung ih- rer Speisen weichen die Finnen zwar von den Russen ab; aber wo sie mit diesen gemein- schaftlich leben, da sind sie auch mit russischer Kost zufrieden. Die Liebhaberey für starke Getränke ist bey ihnen eben so allgemein, doch ohne den Luxus, dessen vorhin erwähnt wurde, weil ihre Armuth sie nur auf die einfachste Befriedigung ihrer Bedürfnisse einschränkt.
Wir haben in diesem und mehreren vor- hergehenden Abschnitten die Bedürfnisse, die
Sitte; aber kein fremder Beobachter, der nur einige Tage hier gelebt hat, wird durch dieſe Aehnlichkeit verfuͤhrt werden, ſie mit Ruſſen zu verwechſeln. Der zerriſſene Rock und die uͤberall hervorſtechende Unſauberkeit ſtempeln ſie auf eine ſo unterſcheidende Weiſe, daß man nicht einmal den traͤgen Gang und die Natio- nalphyſiognomie zu bemerken braucht, um in ihrer Erkennung gewiß zu ſeyn. Die Weiber und Maͤdchen kleiden ſich mehr nach deutſchem Geſchmack, und behaupten, ſelbſt unter dieſem verwahrloſeten Menſchenſtamm, den feinern Sinn fuͤr Reinlichkeit und Ordnung, der dem ſchoͤnern und ſanftern Geſchlechte vorzugsweiſe eigen zu ſeyn ſcheint. In der Zubereitung ih- rer Speiſen weichen die Finnen zwar von den Ruſſen ab; aber wo ſie mit dieſen gemein- ſchaftlich leben, da ſind ſie auch mit ruſſiſcher Koſt zufrieden. Die Liebhaberey fuͤr ſtarke Getraͤnke iſt bey ihnen eben ſo allgemein, doch ohne den Luxus, deſſen vorhin erwaͤhnt wurde, weil ihre Armuth ſie nur auf die einfachſte Befriedigung ihrer Beduͤrfniſſe einſchraͤnkt.
Wir haben in dieſem und mehreren vor- hergehenden Abſchnitten die Beduͤrfniſſe, die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0390"n="372"/>
Sitte; aber kein fremder Beobachter, der nur<lb/>
einige Tage hier gelebt hat, wird durch dieſe<lb/>
Aehnlichkeit verfuͤhrt werden, ſie mit Ruſſen<lb/>
zu verwechſeln. Der zerriſſene Rock und die<lb/>
uͤberall hervorſtechende Unſauberkeit ſtempeln<lb/>ſie auf eine ſo unterſcheidende Weiſe, daß man<lb/>
nicht einmal den traͤgen Gang und die Natio-<lb/>
nalphyſiognomie zu bemerken braucht, um in<lb/>
ihrer Erkennung gewiß zu ſeyn. Die Weiber<lb/>
und Maͤdchen kleiden ſich mehr nach deutſchem<lb/>
Geſchmack, und behaupten, ſelbſt unter dieſem<lb/>
verwahrloſeten Menſchenſtamm, den feinern<lb/>
Sinn fuͤr Reinlichkeit und Ordnung, der dem<lb/>ſchoͤnern und ſanftern Geſchlechte vorzugsweiſe<lb/>
eigen zu ſeyn ſcheint. In der Zubereitung ih-<lb/>
rer Speiſen weichen die Finnen zwar von den<lb/>
Ruſſen ab; aber wo ſie mit dieſen gemein-<lb/>ſchaftlich leben, da ſind ſie auch mit ruſſiſcher<lb/>
Koſt zufrieden. Die Liebhaberey fuͤr ſtarke<lb/>
Getraͤnke iſt bey ihnen eben ſo allgemein, doch<lb/>
ohne den Luxus, deſſen vorhin erwaͤhnt wurde,<lb/>
weil ihre Armuth ſie nur auf die einfachſte<lb/>
Befriedigung ihrer Beduͤrfniſſe einſchraͤnkt.</p><lb/><p>Wir haben in dieſem und mehreren vor-<lb/>
hergehenden Abſchnitten die Beduͤrfniſſe, die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[372/0390]
Sitte; aber kein fremder Beobachter, der nur
einige Tage hier gelebt hat, wird durch dieſe
Aehnlichkeit verfuͤhrt werden, ſie mit Ruſſen
zu verwechſeln. Der zerriſſene Rock und die
uͤberall hervorſtechende Unſauberkeit ſtempeln
ſie auf eine ſo unterſcheidende Weiſe, daß man
nicht einmal den traͤgen Gang und die Natio-
nalphyſiognomie zu bemerken braucht, um in
ihrer Erkennung gewiß zu ſeyn. Die Weiber
und Maͤdchen kleiden ſich mehr nach deutſchem
Geſchmack, und behaupten, ſelbſt unter dieſem
verwahrloſeten Menſchenſtamm, den feinern
Sinn fuͤr Reinlichkeit und Ordnung, der dem
ſchoͤnern und ſanftern Geſchlechte vorzugsweiſe
eigen zu ſeyn ſcheint. In der Zubereitung ih-
rer Speiſen weichen die Finnen zwar von den
Ruſſen ab; aber wo ſie mit dieſen gemein-
ſchaftlich leben, da ſind ſie auch mit ruſſiſcher
Koſt zufrieden. Die Liebhaberey fuͤr ſtarke
Getraͤnke iſt bey ihnen eben ſo allgemein, doch
ohne den Luxus, deſſen vorhin erwaͤhnt wurde,
weil ihre Armuth ſie nur auf die einfachſte
Befriedigung ihrer Beduͤrfniſſe einſchraͤnkt.
Wir haben in dieſem und mehreren vor-
hergehenden Abſchnitten die Beduͤrfniſſe, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/390>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.