zu gestehen, daß in diesen Städten Ausschwei- fung und Zügellosigkeit herrschend sind. In St. Petersburg kann man lange Zeit leben, ohne auffallende Züge zu diesem Theil der Sittengeschichte sammeln zu können. Die öf- fentlichen Vergnügungsörter, die Spazierplätze, das Theater, die Bälle, die Konzerte, die Klubbs, werden von Freudenmädchen wenig oder gar nicht besucht; aus den letztern sind sie durch die Gesetze des Wohlstandes ohne- hin verbannt. Sie erscheinen nirgend im Pu- blikum, als in den Wetschurinki, wo sie ge- wissermaßen ein Recht zum Eintritt haben. -- Ungeachtet dieser mißlichen Existenz ist es doch sehr wahrscheinlich, daß die Anzahl dieser un- glücklichen Geschöpfe im Verhältniß hier so groß als irgendwo sey. Bey weitem der größte Theil derselben lebt isolirt von dem Ge- winn seiner traurigen Industrie, denn, ein paar unbeträchtliche Ausnahmen abgerechnet, giebt es hier keine öffentliche Tempel der paphi- schen Göttinn. Die Kourtisannen von der hö- hern Klasse werden unterhalten, und machen zuweilen ein glänzendes Glück, aber niemals gelangen sie zu dem Ruf und dem Einfluß,
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zu geſtehen, daß in dieſen Staͤdten Ausſchwei- fung und Zuͤgelloſigkeit herrſchend ſind. In St. Petersburg kann man lange Zeit leben, ohne auffallende Zuͤge zu dieſem Theil der Sittengeſchichte ſammeln zu koͤnnen. Die oͤf- fentlichen Vergnuͤgungsoͤrter, die Spazierplaͤtze, das Theater, die Baͤlle, die Konzerte, die Klubbs, werden von Freudenmaͤdchen wenig oder gar nicht beſucht; aus den letztern ſind ſie durch die Geſetze des Wohlſtandes ohne- hin verbannt. Sie erſcheinen nirgend im Pu- blikum, als in den Wetſchurinki, wo ſie ge- wiſſermaßen ein Recht zum Eintritt haben. — Ungeachtet dieſer mißlichen Exiſtenz iſt es doch ſehr wahrſcheinlich, daß die Anzahl dieſer un- gluͤcklichen Geſchoͤpfe im Verhaͤltniß hier ſo groß als irgendwo ſey. Bey weitem der groͤßte Theil derſelben lebt iſolirt von dem Ge- winn ſeiner traurigen Induſtrie, denn, ein paar unbetraͤchtliche Ausnahmen abgerechnet, giebt es hier keine oͤffentliche Tempel der paphi- ſchen Goͤttinn. Die Kourtiſannen von der hoͤ- hern Klaſſe werden unterhalten, und machen zuweilen ein glaͤnzendes Gluͤck, aber niemals gelangen ſie zu dem Ruf und dem Einfluß,
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zu geſtehen, daß in dieſen Staͤdten Ausſchwei-
fung und Zuͤgelloſigkeit herrſchend ſind. In
St. Petersburg kann man lange Zeit leben,
ohne auffallende Zuͤge zu dieſem Theil der
Sittengeſchichte ſammeln zu koͤnnen. Die oͤf-
fentlichen Vergnuͤgungsoͤrter, die Spazierplaͤtze,
das Theater, die Baͤlle, die Konzerte, die
Klubbs, werden von Freudenmaͤdchen wenig
oder gar nicht beſucht; aus den letztern ſind
ſie durch die Geſetze des Wohlſtandes ohne-
hin verbannt. Sie erſcheinen nirgend im Pu-
blikum, als in den Wetſchurinki, wo ſie ge-
wiſſermaßen ein Recht zum Eintritt haben. —
Ungeachtet dieſer mißlichen Exiſtenz iſt es doch
ſehr wahrſcheinlich, daß die Anzahl dieſer un-
gluͤcklichen Geſchoͤpfe im Verhaͤltniß hier ſo
groß als irgendwo ſey. Bey weitem der
groͤßte Theil derſelben lebt iſolirt von dem Ge-
winn ſeiner traurigen Induſtrie, denn, ein
paar unbetraͤchtliche Ausnahmen abgerechnet,
giebt es hier keine oͤffentliche Tempel der paphi-
ſchen Goͤttinn. Die Kourtiſannen von der hoͤ-
hern Klaſſe werden unterhalten, und machen
zuweilen ein glaͤnzendes Gluͤck, aber niemals
gelangen ſie zu dem Ruf und dem Einfluß,
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/341>, abgerufen am 23.11.2024.
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