lichste Beschimpfung zu erwarten, ohne auf den Beystand auch nur Eines Mannes rech- nen zu dürfen. Selten wagen sie es daher anders als mit der Begleitung und unter dem Schutz eines handfesten Kerls zu erscheinen, der die Rechte ihres Geschlechts in Nothfällen geltend zu machen versteht. Uebrigens fällt nichts in diesen Versammlungen vor, was den guten Sitten zuwider wäre; man sieht sich nur, wie auf einem Marktplatz, um zu wäh- len und den Preis zu bestimmen.
Ueberall, in allen großen Städten, sind die Freudenmädchen ein vorzüglich interessan- ter Gegenstand der Karakteristik; hier nicht. Der öffentliche Anstrich von Ehrbarkeit, den unsere Sitten haben, schließt zwar keineswe- ges den mannigfaltigsten und ausschweifendsten Genuß der Liebe aus; aber er verschleyert ihn so gut, daß ein sehr scharfes Auge und eine lange Bekanntschaft mit unserer Lebens- art dazu gehört, um das wahre Maaß und die Modifikationen desselben zu entdecken. Kein Fremder, der nur acht Tage in London, Paris oder Berlin verweilt und die öffentli- chen Oerter besucht hat, wird umhin können,
lichſte Beſchimpfung zu erwarten, ohne auf den Beyſtand auch nur Eines Mannes rech- nen zu duͤrfen. Selten wagen ſie es daher anders als mit der Begleitung und unter dem Schutz eines handfeſten Kerls zu erſcheinen, der die Rechte ihres Geſchlechts in Nothfaͤllen geltend zu machen verſteht. Uebrigens faͤllt nichts in dieſen Verſammlungen vor, was den guten Sitten zuwider waͤre; man ſieht ſich nur, wie auf einem Marktplatz, um zu waͤh- len und den Preis zu beſtimmen.
Ueberall, in allen großen Staͤdten, ſind die Freudenmaͤdchen ein vorzuͤglich intereſſan- ter Gegenſtand der Karakteriſtik; hier nicht. Der oͤffentliche Anſtrich von Ehrbarkeit, den unſere Sitten haben, ſchließt zwar keineswe- ges den mannigfaltigſten und ausſchweifendſten Genuß der Liebe aus; aber er verſchleyert ihn ſo gut, daß ein ſehr ſcharfes Auge und eine lange Bekanntſchaft mit unſerer Lebens- art dazu gehoͤrt, um das wahre Maaß und die Modifikationen deſſelben zu entdecken. Kein Fremder, der nur acht Tage in London, Paris oder Berlin verweilt und die oͤffentli- chen Oerter beſucht hat, wird umhin koͤnnen,
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lichſte Beſchimpfung zu erwarten, ohne auf
den Beyſtand auch nur Eines Mannes rech-
nen zu duͤrfen. Selten wagen ſie es daher
anders als mit der Begleitung und unter dem
Schutz eines handfeſten Kerls zu erſcheinen,
der die Rechte ihres Geſchlechts in Nothfaͤllen
geltend zu machen verſteht. Uebrigens faͤllt
nichts in dieſen Verſammlungen vor, was den
guten Sitten zuwider waͤre; man ſieht ſich
nur, wie auf einem Marktplatz, um zu waͤh-
len und den Preis zu beſtimmen.
Ueberall, in allen großen Staͤdten, ſind die
Freudenmaͤdchen ein vorzuͤglich intereſſan-
ter Gegenſtand der Karakteriſtik; hier nicht.
Der oͤffentliche Anſtrich von Ehrbarkeit, den
unſere Sitten haben, ſchließt zwar keineswe-
ges den mannigfaltigſten und ausſchweifendſten
Genuß der Liebe aus; aber er verſchleyert
ihn ſo gut, daß ein ſehr ſcharfes Auge und
eine lange Bekanntſchaft mit unſerer Lebens-
art dazu gehoͤrt, um das wahre Maaß und
die Modifikationen deſſelben zu entdecken.
Kein Fremder, der nur acht Tage in London,
Paris oder Berlin verweilt und die oͤffentli-
chen Oerter beſucht hat, wird umhin koͤnnen,
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/340>, abgerufen am 23.11.2024.
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