zu welchem man sich unvermerkt hingezogen fühlt, erzeugt und genährt wird. Nichts ist natürlicher, als daß der Meister Schuhmacher, der hier in Gesellschaft von Staatsbedienten, Offizieren, Gelehrten und Kaufleuten Karten spielt und Tobak raucht, und von wohlgekleide- ten Livreebedienten ehrerbietig bedient wird -- daß er sich nun erniedrigt fühlt, wenn er zu seinem Klubbgenossen, dem Hofrath, gerufen wird, um das Maaß zu Schuhen zu nehmen. Daher die Insolenz dieser Art Leute, die so weit geht, daß man sie nur mit der größten Höflichkeit und Nachgiebigkeit gegen ihre Laune bewegen kann, für gute Bezahlung ihre Ar- beit zu liefern. -- So gegründet diese Vor- würfe aber sind, so wenig können sie doch, wie sich leicht von selbst versteht, von Allen gelten. Der Klubb an sich ist ein Instilut, welches sogar seinen Nutzen haben kann, und nur durch Mißbrauch entstehen jene Folgen. Er erhält, zum Beyspiel, den Gemeinsinn des Bürgers, verfeinert seine Sitten, bildet seinen Geschmack, und macht ihn wol gar, wenn das Glück wohl will, zum politischen Seher.
zu welchem man ſich unvermerkt hingezogen fuͤhlt, erzeugt und genaͤhrt wird. Nichts iſt natuͤrlicher, als daß der Meiſter Schuhmacher, der hier in Geſellſchaft von Staatsbedienten, Offizieren, Gelehrten und Kaufleuten Karten ſpielt und Tobak raucht, und von wohlgekleide- ten Livreebedienten ehrerbietig bedient wird — daß er ſich nun erniedrigt fuͤhlt, wenn er zu ſeinem Klubbgenoſſen, dem Hofrath, gerufen wird, um das Maaß zu Schuhen zu nehmen. Daher die Inſolenz dieſer Art Leute, die ſo weit geht, daß man ſie nur mit der groͤßten Hoͤflichkeit und Nachgiebigkeit gegen ihre Laune bewegen kann, fuͤr gute Bezahlung ihre Ar- beit zu liefern. — So gegruͤndet dieſe Vor- wuͤrfe aber ſind, ſo wenig koͤnnen ſie doch, wie ſich leicht von ſelbſt verſteht, von Allen gelten. Der Klubb an ſich iſt ein Inſtilut, welches ſogar ſeinen Nutzen haben kann, und nur durch Mißbrauch entſtehen jene Folgen. Er erhaͤlt, zum Beyſpiel, den Gemeinſinn des Buͤrgers, verfeinert ſeine Sitten, bildet ſeinen Geſchmack, und macht ihn wol gar, wenn das Gluͤck wohl will, zum politiſchen Seher.
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zu welchem man ſich unvermerkt hingezogen
fuͤhlt, erzeugt und genaͤhrt wird. Nichts iſt
natuͤrlicher, als daß der Meiſter Schuhmacher,
der hier in Geſellſchaft von Staatsbedienten,
Offizieren, Gelehrten und Kaufleuten Karten
ſpielt und Tobak raucht, und von wohlgekleide-
ten Livreebedienten ehrerbietig bedient wird —
daß er ſich nun erniedrigt fuͤhlt, wenn er zu
ſeinem Klubbgenoſſen, dem Hofrath, gerufen
wird, um das Maaß zu Schuhen zu nehmen.
Daher die Inſolenz dieſer Art Leute, die ſo
weit geht, daß man ſie nur mit der groͤßten
Hoͤflichkeit und Nachgiebigkeit gegen ihre Laune
bewegen kann, fuͤr gute Bezahlung ihre Ar-
beit zu liefern. — So gegruͤndet dieſe Vor-
wuͤrfe aber ſind, ſo wenig koͤnnen ſie doch,
wie ſich leicht von ſelbſt verſteht, von Allen
gelten. Der Klubb an ſich iſt ein Inſtilut,
welches ſogar ſeinen Nutzen haben kann, und
nur durch Mißbrauch entſtehen jene Folgen.
Er erhaͤlt, zum Beyſpiel, den Gemeinſinn des
Buͤrgers, verfeinert ſeine Sitten, bildet ſeinen
Geſchmack, und macht ihn wol gar, wenn das
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/310>, abgerufen am 23.11.2024.
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