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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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alle Nationen ihren einförmigen Gang zur
Ausbildung gewandelt sind; bey der letzten
scheint die Natur der Profektibilität des Men-
schen die Grenze gesteckt zu haben, denn von
hieraus gehen sie alle den nämlichen Kreislauf
zu ihrer ursprünglichen Barbarey zurück, und
die Geschichte stellt kein einziges Beyspiel auf,
welches als Ausnahme von dieser Regel gelten
könnte.

Der Uebergang vom ersten rohen Bedürf-
niß zur kleinsten, unbedeutendsten Bequemlich-
keit ist der entscheidende Moment für den Fort-
schritt einer Nation. Sobald sie sich einmal
über das bloße Bedürfniß erhebt, ist auch die
Bahn zur höhern Kultur gebrochen. Aber oft
steht ein Volk Jahrhunderte lang an der
Grenzlinie, ohne das Mittel zum Uebergange
zu finden; dieses Mittel, das einzige welches
die Erfahrung uns kennen lehrt, ist -- Ver-
theilung der Arbeit. So lange der unkultivir-
te Mensch sein eigner Schneider, Schuster,
Koch und Zimmermann ist, so lange arbeitet
er nur fürs Bedürfniß und oft auch für dieses
nicht zureichend; die Mannichfaltigkeit seiner
Beschäftigungen hindert ihre Vollkommenheit;

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alle Nationen ihren einfoͤrmigen Gang zur
Ausbildung gewandelt ſind; bey der letzten
ſcheint die Natur der Profektibilitaͤt des Men-
ſchen die Grenze geſteckt zu haben, denn von
hieraus gehen ſie alle den naͤmlichen Kreislauf
zu ihrer urſpruͤnglichen Barbarey zuruͤck, und
die Geſchichte ſtellt kein einziges Beyſpiel auf,
welches als Ausnahme von dieſer Regel gelten
koͤnnte.

Der Uebergang vom erſten rohen Beduͤrf-
niß zur kleinſten, unbedeutendſten Bequemlich-
keit iſt der entſcheidende Moment fuͤr den Fort-
ſchritt einer Nation. Sobald ſie ſich einmal
uͤber das bloße Beduͤrfniß erhebt, iſt auch die
Bahn zur hoͤhern Kultur gebrochen. Aber oft
ſteht ein Volk Jahrhunderte lang an der
Grenzlinie, ohne das Mittel zum Uebergange
zu finden; dieſes Mittel, das einzige welches
die Erfahrung uns kennen lehrt, iſt — Ver-
theilung der Arbeit. So lange der unkultivir-
te Menſch ſein eigner Schneider, Schuſter,
Koch und Zimmermann iſt, ſo lange arbeitet
er nur fuͤrs Beduͤrfniß und oft auch fuͤr dieſes
nicht zureichend; die Mannichfaltigkeit ſeiner
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[7/0023] alle Nationen ihren einfoͤrmigen Gang zur Ausbildung gewandelt ſind; bey der letzten ſcheint die Natur der Profektibilitaͤt des Men- ſchen die Grenze geſteckt zu haben, denn von hieraus gehen ſie alle den naͤmlichen Kreislauf zu ihrer urſpruͤnglichen Barbarey zuruͤck, und die Geſchichte ſtellt kein einziges Beyſpiel auf, welches als Ausnahme von dieſer Regel gelten koͤnnte. Der Uebergang vom erſten rohen Beduͤrf- niß zur kleinſten, unbedeutendſten Bequemlich- keit iſt der entſcheidende Moment fuͤr den Fort- ſchritt einer Nation. Sobald ſie ſich einmal uͤber das bloße Beduͤrfniß erhebt, iſt auch die Bahn zur hoͤhern Kultur gebrochen. Aber oft ſteht ein Volk Jahrhunderte lang an der Grenzlinie, ohne das Mittel zum Uebergange zu finden; dieſes Mittel, das einzige welches die Erfahrung uns kennen lehrt, iſt — Ver- theilung der Arbeit. So lange der unkultivir- te Menſch ſein eigner Schneider, Schuſter, Koch und Zimmermann iſt, ſo lange arbeitet er nur fuͤrs Beduͤrfniß und oft auch fuͤr dieſes nicht zureichend; die Mannichfaltigkeit ſeiner Beſchaͤftigungen hindert ihre Vollkommenheit; A 4

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/23>, abgerufen am 21.11.2024.