es, eben des allzugroßen Euthusiasmus wegen, um die Dauer dieses Modegeschmacks ein we- nig mißlich aussieht. Die meisten derselben zeichnen sich durch gute Einrichtung und solide Wahl der Bücher aus, die unbedeutenden Aus- nahmen abgerechnet, welche der Beytritt der Damen und der unbeschäftigten jungen Stuz- zerwelt nothwendig macht. Reisebeschreibun- gen, Zeitgeschichte und schöne Litteratur gehö- ren hier so gut wie in Deutschland zur Lieb- lingslektüre; nur mit dem Unterschiede, daß der Geschmack hier nicht so schnellwechselnden Lau- nen unterworfen ist, als dort, wo jeder Meß- katalog die Probekarte der Moden des Augen- blicks liefert. Die mannigfaltigen Deklinatio- nen der deutschen Lesewelt zum Sentimentalen, zur Empfindeley, zur Mystifikation, zur reinen Vernunft, zum Kryptokatholicismus, zum Tra- gischen, Heroischen, Gräßlichen, zu Volksmär- chen und Rittergeschichten -- alle diese Mode- revolutionen, die innerhalb eines Zeitraums von zehn bis funfzehn Jahren auf dem Schauplatz der deutschen Litteratur abgewechselt haben, sind nicht vermögend gewesen, etwas über un- sern festen Geschmack -- oder über unsere Un-
es, eben des allzugroßen Euthuſiasmus wegen, um die Dauer dieſes Modegeſchmacks ein we- nig mißlich ausſieht. Die meiſten derſelben zeichnen ſich durch gute Einrichtung und ſolide Wahl der Buͤcher aus, die unbedeutenden Aus- nahmen abgerechnet, welche der Beytritt der Damen und der unbeſchaͤftigten jungen Stuz- zerwelt nothwendig macht. Reiſebeſchreibun- gen, Zeitgeſchichte und ſchoͤne Litteratur gehoͤ- ren hier ſo gut wie in Deutſchland zur Lieb- lingslektuͤre; nur mit dem Unterſchiede, daß der Geſchmack hier nicht ſo ſchnellwechſelnden Lau- nen unterworfen iſt, als dort, wo jeder Meß- katalog die Probekarte der Moden des Augen- blicks liefert. Die mannigfaltigen Deklinatio- nen der deutſchen Leſewelt zum Sentimentalen, zur Empfindeley, zur Myſtifikation, zur reinen Vernunft, zum Kryptokatholicismus, zum Tra- giſchen, Heroiſchen, Graͤßlichen, zu Volksmaͤr- chen und Rittergeſchichten — alle dieſe Mode- revolutionen, die innerhalb eines Zeitraums von zehn bis funfzehn Jahren auf dem Schauplatz der deutſchen Litteratur abgewechſelt haben, ſind nicht vermoͤgend geweſen, etwas uͤber un- ſern feſten Geſchmack — oder uͤber unſere Un-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0178"n="162"/>
es, eben des allzugroßen Euthuſiasmus wegen,<lb/>
um die Dauer dieſes Modegeſchmacks ein we-<lb/>
nig mißlich ausſieht. Die meiſten derſelben<lb/>
zeichnen ſich durch gute Einrichtung und ſolide<lb/>
Wahl der Buͤcher aus, die unbedeutenden Aus-<lb/>
nahmen abgerechnet, welche der Beytritt der<lb/>
Damen und der unbeſchaͤftigten jungen Stuz-<lb/>
zerwelt nothwendig macht. Reiſebeſchreibun-<lb/>
gen, Zeitgeſchichte und ſchoͤne Litteratur gehoͤ-<lb/>
ren hier ſo gut wie in Deutſchland zur Lieb-<lb/>
lingslektuͤre; nur mit dem Unterſchiede, daß der<lb/>
Geſchmack hier nicht ſo ſchnellwechſelnden Lau-<lb/>
nen unterworfen iſt, als dort, wo jeder Meß-<lb/>
katalog die Probekarte der Moden des Augen-<lb/>
blicks liefert. Die mannigfaltigen Deklinatio-<lb/>
nen der deutſchen Leſewelt zum Sentimentalen,<lb/>
zur Empfindeley, zur Myſtifikation, zur reinen<lb/>
Vernunft, zum Kryptokatholicismus, zum Tra-<lb/>
giſchen, Heroiſchen, Graͤßlichen, zu Volksmaͤr-<lb/>
chen und Rittergeſchichten — alle dieſe Mode-<lb/>
revolutionen, die innerhalb eines Zeitraums von<lb/>
zehn bis funfzehn Jahren auf dem Schauplatz<lb/>
der deutſchen Litteratur abgewechſelt haben,<lb/>ſind nicht vermoͤgend geweſen, etwas uͤber un-<lb/>ſern feſten Geſchmack — oder uͤber unſere Un-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[162/0178]
es, eben des allzugroßen Euthuſiasmus wegen,
um die Dauer dieſes Modegeſchmacks ein we-
nig mißlich ausſieht. Die meiſten derſelben
zeichnen ſich durch gute Einrichtung und ſolide
Wahl der Buͤcher aus, die unbedeutenden Aus-
nahmen abgerechnet, welche der Beytritt der
Damen und der unbeſchaͤftigten jungen Stuz-
zerwelt nothwendig macht. Reiſebeſchreibun-
gen, Zeitgeſchichte und ſchoͤne Litteratur gehoͤ-
ren hier ſo gut wie in Deutſchland zur Lieb-
lingslektuͤre; nur mit dem Unterſchiede, daß der
Geſchmack hier nicht ſo ſchnellwechſelnden Lau-
nen unterworfen iſt, als dort, wo jeder Meß-
katalog die Probekarte der Moden des Augen-
blicks liefert. Die mannigfaltigen Deklinatio-
nen der deutſchen Leſewelt zum Sentimentalen,
zur Empfindeley, zur Myſtifikation, zur reinen
Vernunft, zum Kryptokatholicismus, zum Tra-
giſchen, Heroiſchen, Graͤßlichen, zu Volksmaͤr-
chen und Rittergeſchichten — alle dieſe Mode-
revolutionen, die innerhalb eines Zeitraums von
zehn bis funfzehn Jahren auf dem Schauplatz
der deutſchen Litteratur abgewechſelt haben,
ſind nicht vermoͤgend geweſen, etwas uͤber un-
ſern feſten Geſchmack — oder uͤber unſere Un-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/178>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.