Ein junger Deutscher Edelmann, der sich in dieser Residenz eine Zeitlang den gewöhnli- chen Ausschweifungen seines Alters mit dem größten Leichtsinn preis gegeben hatte, war endlich so unglücklich, von seinen Gläubigern in die Polizey gesetzt zu werden. In dieser schrecklichen Lage, von allen seinen ehemaligen Bekannten verlassen, bleibt ihm ein Mädchen von der feilen Klasse treu, das einst in guten Tagen einen Antheil an seiner Börse gehabt hatte. Sie folgt ihm in das Gefängniß, wird bey einer schweren Krankheit seine unermüdete Pflegerinn, sorgt für alle seine Bedürfnisse, verkauft, da ihre Baarschaft nicht zureichend ist, alle ihre Habseligkeiten, und bettelt end- lich für ihren unglücklichen Freund. Als diesen nach eilf Monaten der Tod aus seiner trauri- gen Lage befreyte, ließ ihn das Mädchen von ihrem erbettelten Gelde anständig begraben und -- willigte nun erst in den längst geschehenen Antrag eines wohlhabenden Mannes, durch welchen sie sich Bequemlichkeit und Vergnügen verschaffen konnte, und den sie bis dahin aus dem Grunde ausgeschlagen hatte, weil sie es
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Ein junger Deutſcher Edelmann, der ſich in dieſer Reſidenz eine Zeitlang den gewoͤhnli- chen Ausſchweifungen ſeines Alters mit dem groͤßten Leichtſinn preis gegeben hatte, war endlich ſo ungluͤcklich, von ſeinen Glaͤubigern in die Polizey geſetzt zu werden. In dieſer ſchrecklichen Lage, von allen ſeinen ehemaligen Bekannten verlaſſen, bleibt ihm ein Maͤdchen von der feilen Klaſſe treu, das einſt in guten Tagen einen Antheil an ſeiner Boͤrſe gehabt hatte. Sie folgt ihm in das Gefaͤngniß, wird bey einer ſchweren Krankheit ſeine unermuͤdete Pflegerinn, ſorgt fuͤr alle ſeine Beduͤrfniſſe, verkauft, da ihre Baarſchaft nicht zureichend iſt, alle ihre Habſeligkeiten, und bettelt end- lich fuͤr ihren ungluͤcklichen Freund. Als dieſen nach eilf Monaten der Tod aus ſeiner trauri- gen Lage befreyte, ließ ihn das Maͤdchen von ihrem erbettelten Gelde anſtaͤndig begraben und — willigte nun erſt in den laͤngſt geſchehenen Antrag eines wohlhabenden Mannes, durch welchen ſie ſich Bequemlichkeit und Vergnuͤgen verſchaffen konnte, und den ſie bis dahin aus dem Grunde ausgeſchlagen hatte, weil ſie es
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[195/0229]
Ein junger Deutſcher Edelmann, der ſich
in dieſer Reſidenz eine Zeitlang den gewoͤhnli-
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groͤßten Leichtſinn preis gegeben hatte, war
endlich ſo ungluͤcklich, von ſeinen Glaͤubigern
in die Polizey geſetzt zu werden. In dieſer
ſchrecklichen Lage, von allen ſeinen ehemaligen
Bekannten verlaſſen, bleibt ihm ein Maͤdchen
von der feilen Klaſſe treu, das einſt in guten
Tagen einen Antheil an ſeiner Boͤrſe gehabt
hatte. Sie folgt ihm in das Gefaͤngniß, wird
bey einer ſchweren Krankheit ſeine unermuͤdete
Pflegerinn, ſorgt fuͤr alle ſeine Beduͤrfniſſe,
verkauft, da ihre Baarſchaft nicht zureichend
iſt, alle ihre Habſeligkeiten, und bettelt end-
lich fuͤr ihren ungluͤcklichen Freund. Als dieſen
nach eilf Monaten der Tod aus ſeiner trauri-
gen Lage befreyte, ließ ihn das Maͤdchen von
ihrem erbettelten Gelde anſtaͤndig begraben und
— willigte nun erſt in den laͤngſt geſchehenen
Antrag eines wohlhabenden Mannes, durch
welchen ſie ſich Bequemlichkeit und Vergnuͤgen
verſchaffen konnte, und den ſie bis dahin aus
dem Grunde ausgeſchlagen hatte, weil ſie es
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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/229>, abgerufen am 24.11.2024.
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