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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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kann, in solchen Ländern, die keine eigentliche
Konstitution haben, nur aus der Zusammen-
stellung einer großen Menge einzelner Thatsa-
chen, aus dem Geist der Regierungen, aus
der Stimmung des Volks erkannt werden.
Jene ist eine bestimmte Rubrik der Statistik:
diese gehört in das Kapitel der Denkungsart,
Meynungen und Sitten. --

In einem Lande, welches keinen Schatten
von Verfassung hatte, in welchem alle die
verwickelten Verhältnisse einer großen bürger-
lichen Gesellschaft durch einzelne, deutungsfä-
hige, sich oft widersprechende Verordnungen
bestimmt, und diese der willkührlichen Ausle-
gung einzelner Gerichtsstellen überlassen waren,
in einem solchen Lande konnte die persönliche
und bürgerliche Sicherheit sich weder einer
rechtmäßig begründeten noch gesicherten Existenz
erfreuen. In diesem Fall befand sich Rußland
vor Peter dem Großen. Die mannigfal-
tigen Anordnungen dieses weit über sein Zeit-
alter erhabenen Fürsten beweisen, daß er den
Mangel einer bürgerlichen Verfassung und die
Nothwendigkeit einer festen Bestimmung der
gesetzmäßigen persönlichen Sicherheit fühlte.

kann, in ſolchen Laͤndern, die keine eigentliche
Konſtitution haben, nur aus der Zuſammen-
ſtellung einer großen Menge einzelner Thatſa-
chen, aus dem Geiſt der Regierungen, aus
der Stimmung des Volks erkannt werden.
Jene iſt eine beſtimmte Rubrik der Statiſtik:
dieſe gehoͤrt in das Kapitel der Denkungsart,
Meynungen und Sitten. —

In einem Lande, welches keinen Schatten
von Verfaſſung hatte, in welchem alle die
verwickelten Verhaͤltniſſe einer großen buͤrger-
lichen Geſellſchaft durch einzelne, deutungsfaͤ-
hige, ſich oft widerſprechende Verordnungen
beſtimmt, und dieſe der willkuͤhrlichen Ausle-
gung einzelner Gerichtsſtellen uͤberlaſſen waren,
in einem ſolchen Lande konnte die perſoͤnliche
und buͤrgerliche Sicherheit ſich weder einer
rechtmaͤßig begruͤndeten noch geſicherten Exiſtenz
erfreuen. In dieſem Fall befand ſich Rußland
vor Peter dem Großen. Die mannigfal-
tigen Anordnungen dieſes weit uͤber ſein Zeit-
alter erhabenen Fuͤrſten beweiſen, daß er den
Mangel einer buͤrgerlichen Verfaſſung und die
Nothwendigkeit einer feſten Beſtimmung der
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[159/0193] kann, in ſolchen Laͤndern, die keine eigentliche Konſtitution haben, nur aus der Zuſammen- ſtellung einer großen Menge einzelner Thatſa- chen, aus dem Geiſt der Regierungen, aus der Stimmung des Volks erkannt werden. Jene iſt eine beſtimmte Rubrik der Statiſtik: dieſe gehoͤrt in das Kapitel der Denkungsart, Meynungen und Sitten. — In einem Lande, welches keinen Schatten von Verfaſſung hatte, in welchem alle die verwickelten Verhaͤltniſſe einer großen buͤrger- lichen Geſellſchaft durch einzelne, deutungsfaͤ- hige, ſich oft widerſprechende Verordnungen beſtimmt, und dieſe der willkuͤhrlichen Ausle- gung einzelner Gerichtsſtellen uͤberlaſſen waren, in einem ſolchen Lande konnte die perſoͤnliche und buͤrgerliche Sicherheit ſich weder einer rechtmaͤßig begruͤndeten noch geſicherten Exiſtenz erfreuen. In dieſem Fall befand ſich Rußland vor Peter dem Großen. Die mannigfal- tigen Anordnungen dieſes weit uͤber ſein Zeit- alter erhabenen Fuͤrſten beweiſen, daß er den Mangel einer buͤrgerlichen Verfaſſung und die Nothwendigkeit einer feſten Beſtimmung der geſetzmaͤßigen perſoͤnlichen Sicherheit fuͤhlte.

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/193>, abgerufen am 23.11.2024.