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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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sonnirt man etwa so: Entweder treibt den Menschen seine
Sinnlichkeit, und er ist, ihr folgend, unsittlich, oder es treibt
ihn das Gute, welches, in den Willen aufgenommen, sittliche
Gesinnung (Gesinnung und Eingenommenheit für das Gute)
heißt: dann beweist er sich als sittlich. Wie läßt sich von
diesem Gesichtspunkte aus z. B. die That Sand's gegen
Kotzebue unsittlich nennen? Was man so unter uneigennützig
versteht, das war sie doch gewiß in demselben Maaße als
unter anderem die Diebereien des heiligen Crispin zu Gunsten
der Armen, "Er hätte nicht morden sollen, denn es stehet ge¬
schrieben: Du sollst nicht morden!" Also dem Guten zu
dienen, dem Volkswohl, wie Sand wenigstens beabsichtigte,
oder dem Wohl der Armen, wie Crispin, das ist sittlich: aber
der Mord und Diebstahl ist unsittlich: der Zweck sittlich, das
Mittel unsittlich. Warum? "Weil der Mord, der Meuchel¬
mord etwas absolut Böses ist." Wenn die Guerillas die
Feinde des Landes in Schluchten verlockten und sie ungesehen
aus den Büschen niederschossen, so war das etwa kein Meu¬
chelmord? Ihr könntet dem Princip der Sittlichkeit nach,
welches befiehlt, dem Guten zu dienen, doch nur fragen, ob der
Mord nie und nimmer eine Verwirklichung des Guten sein
könne, und müßtet denjenigen Mord anerkennen, der das Gut
realisirte. Ihr könnt die That Sand's gar nicht verdammen:
sie war sittlich, weil im Dienst des Guten, weil uneigennützig;
sie war ein Strafact, den der Einzelne vollzog, eine mit Ge¬
fahr des eigenen Lebens vollzogene -- Hinrichtung. Was
war am Ende sein Unterfangen anders gewesen, als daß er
Schriften durch rohe Gewalt unterdrücken wollte? Kennt Ihr
dasselbe Verfahren nicht als ein "gesetzliches" und sanctionirtes?
Und Was läßt sich aus Eurem Princip der Sittlichkeit dage¬

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ſonnirt man etwa ſo: Entweder treibt den Menſchen ſeine
Sinnlichkeit, und er iſt, ihr folgend, unſittlich, oder es treibt
ihn das Gute, welches, in den Willen aufgenommen, ſittliche
Geſinnung (Geſinnung und Eingenommenheit für das Gute)
heißt: dann beweiſt er ſich als ſittlich. Wie läßt ſich von
dieſem Geſichtspunkte aus z. B. die That Sand's gegen
Kotzebue unſittlich nennen? Was man ſo unter uneigennützig
verſteht, das war ſie doch gewiß in demſelben Maaße als
unter anderem die Diebereien des heiligen Crispin zu Gunſten
der Armen, „Er hätte nicht morden ſollen, denn es ſtehet ge¬
ſchrieben: Du ſollst nicht morden!“ Alſo dem Guten zu
dienen, dem Volkswohl, wie Sand wenigſtens beabſichtigte,
oder dem Wohl der Armen, wie Crispin, das iſt ſittlich: aber
der Mord und Diebſtahl iſt unſittlich: der Zweck ſittlich, das
Mittel unſittlich. Warum? „Weil der Mord, der Meuchel¬
mord etwas abſolut Böſes iſt.“ Wenn die Guerillas die
Feinde des Landes in Schluchten verlockten und ſie ungeſehen
aus den Büſchen niederſchoſſen, ſo war das etwa kein Meu¬
chelmord? Ihr könntet dem Princip der Sittlichkeit nach,
welches befiehlt, dem Guten zu dienen, doch nur fragen, ob der
Mord nie und nimmer eine Verwirklichung des Guten ſein
könne, und müßtet denjenigen Mord anerkennen, der das Gut
realiſirte. Ihr könnt die That Sand's gar nicht verdammen:
ſie war ſittlich, weil im Dienſt des Guten, weil uneigennützig;
ſie war ein Strafact, den der Einzelne vollzog, eine mit Ge¬
fahr des eigenen Lebens vollzogene — Hinrichtung. Was
war am Ende ſein Unterfangen anders geweſen, als daß er
Schriften durch rohe Gewalt unterdrücken wollte? Kennt Ihr
daſſelbe Verfahren nicht als ein „geſetzliches“ und ſanctionirtes?
Und Was läßt ſich aus Eurem Princip der Sittlichkeit dage¬

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[67/0075] ſonnirt man etwa ſo: Entweder treibt den Menſchen ſeine Sinnlichkeit, und er iſt, ihr folgend, unſittlich, oder es treibt ihn das Gute, welches, in den Willen aufgenommen, ſittliche Geſinnung (Geſinnung und Eingenommenheit für das Gute) heißt: dann beweiſt er ſich als ſittlich. Wie läßt ſich von dieſem Geſichtspunkte aus z. B. die That Sand's gegen Kotzebue unſittlich nennen? Was man ſo unter uneigennützig verſteht, das war ſie doch gewiß in demſelben Maaße als unter anderem die Diebereien des heiligen Crispin zu Gunſten der Armen, „Er hätte nicht morden ſollen, denn es ſtehet ge¬ ſchrieben: Du ſollst nicht morden!“ Alſo dem Guten zu dienen, dem Volkswohl, wie Sand wenigſtens beabſichtigte, oder dem Wohl der Armen, wie Crispin, das iſt ſittlich: aber der Mord und Diebſtahl iſt unſittlich: der Zweck ſittlich, das Mittel unſittlich. Warum? „Weil der Mord, der Meuchel¬ mord etwas abſolut Böſes iſt.“ Wenn die Guerillas die Feinde des Landes in Schluchten verlockten und ſie ungeſehen aus den Büſchen niederſchoſſen, ſo war das etwa kein Meu¬ chelmord? Ihr könntet dem Princip der Sittlichkeit nach, welches befiehlt, dem Guten zu dienen, doch nur fragen, ob der Mord nie und nimmer eine Verwirklichung des Guten ſein könne, und müßtet denjenigen Mord anerkennen, der das Gut realiſirte. Ihr könnt die That Sand's gar nicht verdammen: ſie war ſittlich, weil im Dienſt des Guten, weil uneigennützig; ſie war ein Strafact, den der Einzelne vollzog, eine mit Ge¬ fahr des eigenen Lebens vollzogene — Hinrichtung. Was war am Ende ſein Unterfangen anders geweſen, als daß er Schriften durch rohe Gewalt unterdrücken wollte? Kennt Ihr daſſelbe Verfahren nicht als ein „geſetzliches“ und ſanctionirtes? Und Was läßt ſich aus Eurem Princip der Sittlichkeit dage¬ 5 *

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/75>, abgerufen am 26.11.2024.