Aber, wirft man verfänglicher Weise ein, so ist doch ihr Wahnsinn oder ihre Besessenheit wenigstens ihre Sünde. Ihre Besessenheit ist nichts als das, was sie -- zu Stande bringen konnten, das Resultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibel¬ gläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen -- ver¬ mochte. Der Eine bringt sich mit seiner Entwicklung in's Narrenhaus, der Andere bringt sich damit in's Pantheon und um die -- Walhalla.
Es giebt keinen Sünder und keinen sündigen Egoismus!
Geh' Mir vom Leibe mit Deiner "Menschenliebe"! Schleiche Dich hinein, Du Menschenfreund, in die "Höhlen des Lasters", verweile einmal in dem Gewühl der großen Stadt: wirst Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder Sünde finden? Wirst Du nicht jammern über die verderbte Menschheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus? Wirst Du einen Reichen sehen, ohne ihn unbarmherzig und "egoistisch" zu finden? Du nennst Dich vielleicht schon Atheist, aber dem christlichen Gefühle bleibst Du treu, daß ein Kameel eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher kein "Un¬ mensch" sei. Wie viele siehst Du überhaupt, die Du nicht unter die "egoistische Masse" würfest? Was hat also deine Menschenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menschen! Und woher stammen sie alle? Aus Dir, aus deiner Men¬ schenliebe ! Du hast den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum fandest Du ihn, darum schobst Du ihn überall unter. Nenne die Menschen nicht Sünder, so sind sie's nicht: Du allein bist der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menschen zu lie¬ ben wähnst, Du gerade wirfst sie in den Koth der Sünde, Du gerade scheidest sie in Lasterhafte und Tugendhafte, in Menschen und Unmenschen, Du gerade besudelst sie mit dem
Aber, wirft man verfänglicher Weiſe ein, ſo iſt doch ihr Wahnſinn oder ihre Beſeſſenheit wenigſtens ihre Sünde. Ihre Beſeſſenheit iſt nichts als das, was ſie — zu Stande bringen konnten, das Reſultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibel¬ gläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen — ver¬ mochte. Der Eine bringt ſich mit ſeiner Entwicklung in's Narrenhaus, der Andere bringt ſich damit in's Pantheon und um die — Walhalla.
Es giebt keinen Sünder und keinen ſündigen Egoismus!
Geh' Mir vom Leibe mit Deiner „Menſchenliebe“! Schleiche Dich hinein, Du Menſchenfreund, in die „Höhlen des Laſters“, verweile einmal in dem Gewühl der großen Stadt: wirſt Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder Sünde finden? Wirſt Du nicht jammern über die verderbte Menſchheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus? Wirſt Du einen Reichen ſehen, ohne ihn unbarmherzig und „egoiſtiſch“ zu finden? Du nennſt Dich vielleicht ſchon Atheiſt, aber dem chriſtlichen Gefühle bleibſt Du treu, daß ein Kameel eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher kein „Un¬ menſch“ ſei. Wie viele ſiehſt Du überhaupt, die Du nicht unter die „egoiſtiſche Maſſe“ würfeſt? Was hat alſo deine Menſchenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menſchen! Und woher ſtammen ſie alle? Aus Dir, aus deiner Men¬ ſchenliebe ! Du haſt den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum fandeſt Du ihn, darum ſchobſt Du ihn überall unter. Nenne die Menſchen nicht Sünder, ſo ſind ſie's nicht: Du allein biſt der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menſchen zu lie¬ ben wähnſt, Du gerade wirfſt ſie in den Koth der Sünde, Du gerade ſcheideſt ſie in Laſterhafte und Tugendhafte, in Menſchen und Unmenſchen, Du gerade beſudelſt ſie mit dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0490"n="482"/><p>Aber, wirft man verfänglicher Weiſe ein, ſo iſt doch ihr<lb/>
Wahnſinn oder ihre Beſeſſenheit wenigſtens ihre Sünde. Ihre<lb/>
Beſeſſenheit iſt nichts als das, was ſie — zu Stande bringen<lb/>
konnten, das Reſultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibel¬<lb/>
gläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen — ver¬<lb/>
mochte. Der Eine bringt ſich mit ſeiner Entwicklung in's<lb/>
Narrenhaus, der Andere bringt ſich damit in's Pantheon und<lb/>
um die — Walhalla.</p><lb/><p>Es giebt keinen Sünder und keinen ſündigen Egoismus!</p><lb/><p>Geh' Mir vom Leibe mit Deiner „Menſchenliebe“!<lb/>
Schleiche Dich hinein, Du Menſchenfreund, in die „Höhlen<lb/>
des Laſters“, verweile einmal in dem Gewühl der großen<lb/>
Stadt: wirſt Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder<lb/>
Sünde finden? Wirſt Du nicht jammern über die verderbte<lb/>
Menſchheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus?<lb/>
Wirſt Du einen Reichen ſehen, ohne ihn unbarmherzig und<lb/>„egoiſtiſch“ zu finden? Du nennſt Dich vielleicht ſchon Atheiſt,<lb/>
aber dem chriſtlichen Gefühle bleibſt Du treu, daß ein Kameel<lb/>
eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher kein „Un¬<lb/>
menſch“ſei. Wie viele ſiehſt Du überhaupt, die Du nicht<lb/>
unter die „egoiſtiſche Maſſe“ würfeſt? Was hat alſo deine<lb/>
Menſchenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menſchen!<lb/>
Und woher ſtammen ſie alle? Aus Dir, aus deiner Men¬<lb/>ſchenliebe ! Du haſt den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum<lb/>
fandeſt Du ihn, darum ſchobſt Du ihn überall unter. Nenne<lb/>
die Menſchen nicht Sünder, ſo ſind ſie's nicht: Du allein biſt<lb/>
der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menſchen zu lie¬<lb/>
ben wähnſt, Du gerade wirfſt ſie in den Koth der Sünde,<lb/>
Du gerade ſcheideſt ſie in Laſterhafte und Tugendhafte, in<lb/>
Menſchen und Unmenſchen, Du gerade beſudelſt ſie mit dem<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[482/0490]
Aber, wirft man verfänglicher Weiſe ein, ſo iſt doch ihr
Wahnſinn oder ihre Beſeſſenheit wenigſtens ihre Sünde. Ihre
Beſeſſenheit iſt nichts als das, was ſie — zu Stande bringen
konnten, das Reſultat ihrer Entwicklung, wie Luthers Bibel¬
gläubigkeit eben Alles war, was er herauszubringen — ver¬
mochte. Der Eine bringt ſich mit ſeiner Entwicklung in's
Narrenhaus, der Andere bringt ſich damit in's Pantheon und
um die — Walhalla.
Es giebt keinen Sünder und keinen ſündigen Egoismus!
Geh' Mir vom Leibe mit Deiner „Menſchenliebe“!
Schleiche Dich hinein, Du Menſchenfreund, in die „Höhlen
des Laſters“, verweile einmal in dem Gewühl der großen
Stadt: wirſt Du nicht überall Sünde und Sünde und wieder
Sünde finden? Wirſt Du nicht jammern über die verderbte
Menſchheit, nicht klagen über den ungeheuern Egoismus?
Wirſt Du einen Reichen ſehen, ohne ihn unbarmherzig und
„egoiſtiſch“ zu finden? Du nennſt Dich vielleicht ſchon Atheiſt,
aber dem chriſtlichen Gefühle bleibſt Du treu, daß ein Kameel
eher durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher kein „Un¬
menſch“ ſei. Wie viele ſiehſt Du überhaupt, die Du nicht
unter die „egoiſtiſche Maſſe“ würfeſt? Was hat alſo deine
Menſchenliebe gefunden? Lauter unliebenswürdige Menſchen!
Und woher ſtammen ſie alle? Aus Dir, aus deiner Men¬
ſchenliebe ! Du haſt den Sünder im Kopfe mitgebracht, darum
fandeſt Du ihn, darum ſchobſt Du ihn überall unter. Nenne
die Menſchen nicht Sünder, ſo ſind ſie's nicht: Du allein biſt
der Schöpfer der Sünder: Du, der Du die Menſchen zu lie¬
ben wähnſt, Du gerade wirfſt ſie in den Koth der Sünde,
Du gerade ſcheideſt ſie in Laſterhafte und Tugendhafte, in
Menſchen und Unmenſchen, Du gerade beſudelſt ſie mit dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/490>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.