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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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nicht ein heiliges Gefühl, einen heiligen Gedanken, einen hei¬
ligen Glauben aufgegeben hätte, ja Wir begegnen wohl kei¬
nem, der sich nicht aus einem oder dem andern seiner heiligen
Gedanken noch erlösen könnte. All unser Streit wider Ueber¬
zeugungen geht von der Meinung aus, daß Wir den Gegner
etwa aus seinen Gedankenverschanzungen zu vertreiben fähig
seien. Aber was Ich unbewußt thue, das thue Ich halb, und
darum werde Ich nach jedem Siege über einen Glauben wie¬
der der Gefangene (Besessene) eines Glaubens, der dann
von neuem mein ganzes Ich in seinen Dienst nimmt und
Mich zum Schwärmer für die Vernunft macht, nachdem Ich
für die Bibel zu schwärmen aufgehört, oder zum Schwärmer
für die Idee der Menschheit, nachdem Ich lange genug für
die der Christenheit gefochten habe.

Wohl werde Ich als Eigner der Gedanken so gut mein
Eigenthum mit dem Schilde decken, wie Ich als Eigner der
Dinge nicht Jedermann gutwillig zugreifen lasse; aber lächelnd
zugleich werde Ich dem Ausgange der Schlacht entgegensehen,
lächelnd den Schild auf die Leichen meiner Gedanken und
meines Glaubens legen, lächelnd, wenn Ich geschlagen bin,
triumphiren. Das eben ist der Humor von der Sache. Sei¬
nen Humor an den Kleinlichkeiten der Menschen auszulassen,
das vermag Jeder, der "erhabnere Gefühle" hat; ihn aber mit
allen "großen Gedanken, erhabenen Gefühlen, edler Begeiste¬
rung und heiligem Glauben" spielen zu lassen, das setzt vor¬
aus, daß Ich der Eigner von Allem sei.

Hat die Religion den Satz aufgestellt, Wir seien allzu¬
mal Sünder, so stelle Ich ihm den andern entgegen: Wir sind
allzumal vollkommen! Denn wir sind jeden Augenblick Alles,
was Wir sein können, und brauchen niemals mehr zu sein.

nicht ein heiliges Gefühl, einen heiligen Gedanken, einen hei¬
ligen Glauben aufgegeben hätte, ja Wir begegnen wohl kei¬
nem, der ſich nicht aus einem oder dem andern ſeiner heiligen
Gedanken noch erlöſen könnte. All unſer Streit wider Ueber¬
zeugungen geht von der Meinung aus, daß Wir den Gegner
etwa aus ſeinen Gedankenverſchanzungen zu vertreiben fähig
ſeien. Aber was Ich unbewußt thue, das thue Ich halb, und
darum werde Ich nach jedem Siege über einen Glauben wie¬
der der Gefangene (Beſeſſene) eines Glaubens, der dann
von neuem mein ganzes Ich in ſeinen Dienſt nimmt und
Mich zum Schwärmer für die Vernunft macht, nachdem Ich
für die Bibel zu ſchwärmen aufgehört, oder zum Schwärmer
für die Idee der Menſchheit, nachdem Ich lange genug für
die der Chriſtenheit gefochten habe.

Wohl werde Ich als Eigner der Gedanken ſo gut mein
Eigenthum mit dem Schilde decken, wie Ich als Eigner der
Dinge nicht Jedermann gutwillig zugreifen laſſe; aber lächelnd
zugleich werde Ich dem Ausgange der Schlacht entgegenſehen,
lächelnd den Schild auf die Leichen meiner Gedanken und
meines Glaubens legen, lächelnd, wenn Ich geſchlagen bin,
triumphiren. Das eben iſt der Humor von der Sache. Sei¬
nen Humor an den Kleinlichkeiten der Menſchen auszulaſſen,
das vermag Jeder, der „erhabnere Gefühle“ hat; ihn aber mit
allen „großen Gedanken, erhabenen Gefühlen, edler Begeiſte¬
rung und heiligem Glauben“ ſpielen zu laſſen, das ſetzt vor¬
aus, daß Ich der Eigner von Allem ſei.

Hat die Religion den Satz aufgeſtellt, Wir ſeien allzu¬
mal Sünder, ſo ſtelle Ich ihm den andern entgegen: Wir ſind
allzumal vollkommen! Denn wir ſind jeden Augenblick Alles,
was Wir ſein können, und brauchen niemals mehr zu ſein.

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[480/0488] nicht ein heiliges Gefühl, einen heiligen Gedanken, einen hei¬ ligen Glauben aufgegeben hätte, ja Wir begegnen wohl kei¬ nem, der ſich nicht aus einem oder dem andern ſeiner heiligen Gedanken noch erlöſen könnte. All unſer Streit wider Ueber¬ zeugungen geht von der Meinung aus, daß Wir den Gegner etwa aus ſeinen Gedankenverſchanzungen zu vertreiben fähig ſeien. Aber was Ich unbewußt thue, das thue Ich halb, und darum werde Ich nach jedem Siege über einen Glauben wie¬ der der Gefangene (Beſeſſene) eines Glaubens, der dann von neuem mein ganzes Ich in ſeinen Dienſt nimmt und Mich zum Schwärmer für die Vernunft macht, nachdem Ich für die Bibel zu ſchwärmen aufgehört, oder zum Schwärmer für die Idee der Menſchheit, nachdem Ich lange genug für die der Chriſtenheit gefochten habe. Wohl werde Ich als Eigner der Gedanken ſo gut mein Eigenthum mit dem Schilde decken, wie Ich als Eigner der Dinge nicht Jedermann gutwillig zugreifen laſſe; aber lächelnd zugleich werde Ich dem Ausgange der Schlacht entgegenſehen, lächelnd den Schild auf die Leichen meiner Gedanken und meines Glaubens legen, lächelnd, wenn Ich geſchlagen bin, triumphiren. Das eben iſt der Humor von der Sache. Sei¬ nen Humor an den Kleinlichkeiten der Menſchen auszulaſſen, das vermag Jeder, der „erhabnere Gefühle“ hat; ihn aber mit allen „großen Gedanken, erhabenen Gefühlen, edler Begeiſte¬ rung und heiligem Glauben“ ſpielen zu laſſen, das ſetzt vor¬ aus, daß Ich der Eigner von Allem ſei. Hat die Religion den Satz aufgeſtellt, Wir ſeien allzu¬ mal Sünder, ſo ſtelle Ich ihm den andern entgegen: Wir ſind allzumal vollkommen! Denn wir ſind jeden Augenblick Alles, was Wir ſein können, und brauchen niemals mehr zu ſein.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/488>, abgerufen am 23.11.2024.