Es schlägt die Kritik eine Idee nur durch eine andere, z. B. die des Privilegiums durch die der Menschheit, oder die des Egoismus durch die der Uneigennützigkeit.
Ueberhaupt tritt der Anfang des Christenthums in sei¬ nem kritischen Ende wieder auf, indem hier wie dort der "Egoismus" bekämpft wird. Nicht Mich, den Einzelnen, sondern die Idee, das Allgemeine, soll Ich zur Geltung bringen.
Krieg des Pfaffenthums mit dem Egoismus, der geist¬ lich Gesinnten mit den weltlich Gesinnten macht ja den In¬ halt der ganzen christlichen Geschichte aus. In der neuesten Kritik wird dieser Krieg nur allumfassend, der Fanatismus vollständig. Freilich kann er auch so erst, nachdem er sich ausgelebt und ausgewüthet hat, vergehen.
Ob, was Ich denke und thue, christlich sei, was küm¬ mert's Mich? Ob es menschlich, liberal, human, ob unmensch¬ lich, illiberal, inhuman, was frag' Ich darnach? Wenn es nur bezweckt, was Ich will, wenn Ich nur Mich darin be¬ friedige, dann belegt es mit Prädikaten wie Ihr wollt: es gilt Mir gleich.
Auch Ich wehre Mich vielleicht schon im nächsten Augen¬ blicke gegen meinen vorigen Gedanken, auch Ich ändere wohl plötzlich meine Handlungsweise; aber nicht darum, weil sie der Christlichkeit nicht entspricht, nicht darum, weil sie gegen die ewigen Menschenrechte läuft, nicht darum, weil sie der Idee der Menschheit, Menschlichkeit und Humanität in's Gesicht schlägt, sondern -- weil Ich nicht mehr ganz dabei bin, weil sie Mir keinen vollen Genuß mehr bereitet, weil Ich an dem
Es ſchlägt die Kritik eine Idee nur durch eine andere, z. B. die des Privilegiums durch die der Menſchheit, oder die des Egoismus durch die der Uneigennützigkeit.
Ueberhaupt tritt der Anfang des Chriſtenthums in ſei¬ nem kritiſchen Ende wieder auf, indem hier wie dort der „Egoismus“ bekämpft wird. Nicht Mich, den Einzelnen, ſondern die Idee, das Allgemeine, ſoll Ich zur Geltung bringen.
Krieg des Pfaffenthums mit dem Egoismus, der geiſt¬ lich Geſinnten mit den weltlich Geſinnten macht ja den In¬ halt der ganzen chriſtlichen Geſchichte aus. In der neueſten Kritik wird dieſer Krieg nur allumfaſſend, der Fanatismus vollſtändig. Freilich kann er auch ſo erſt, nachdem er ſich ausgelebt und ausgewüthet hat, vergehen.
Ob, was Ich denke und thue, chriſtlich ſei, was küm¬ mert's Mich? Ob es menſchlich, liberal, human, ob unmenſch¬ lich, illiberal, inhuman, was frag' Ich darnach? Wenn es nur bezweckt, was Ich will, wenn Ich nur Mich darin be¬ friedige, dann belegt es mit Prädikaten wie Ihr wollt: es gilt Mir gleich.
Auch Ich wehre Mich vielleicht ſchon im nächſten Augen¬ blicke gegen meinen vorigen Gedanken, auch Ich ändere wohl plötzlich meine Handlungsweiſe; aber nicht darum, weil ſie der Chriſtlichkeit nicht entſpricht, nicht darum, weil ſie gegen die ewigen Menſchenrechte läuft, nicht darum, weil ſie der Idee der Menſchheit, Menſchlichkeit und Humanität in's Geſicht ſchlägt, ſondern — weil Ich nicht mehr ganz dabei bin, weil ſie Mir keinen vollen Genuß mehr bereitet, weil Ich an dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0486"n="478"/><p>Es ſchlägt die Kritik eine Idee nur durch eine andere,<lb/>
z. B. die des Privilegiums durch die der Menſchheit, oder<lb/>
die des Egoismus durch die der Uneigennützigkeit.</p><lb/><p>Ueberhaupt tritt der Anfang des Chriſtenthums in ſei¬<lb/>
nem kritiſchen Ende wieder auf, indem hier wie dort der<lb/>„Egoismus“ bekämpft wird. Nicht Mich, den Einzelnen,<lb/>ſondern die Idee, das Allgemeine, ſoll Ich zur Geltung<lb/>
bringen.</p><lb/><p>Krieg des Pfaffenthums mit dem <hirendition="#g">Egoismus</hi>, der geiſt¬<lb/>
lich Geſinnten mit den weltlich Geſinnten macht ja den In¬<lb/>
halt der ganzen chriſtlichen Geſchichte aus. In der neueſten<lb/>
Kritik wird dieſer Krieg nur allumfaſſend, der Fanatismus<lb/>
vollſtändig. Freilich kann er auch ſo erſt, nachdem er ſich<lb/>
ausgelebt und ausgewüthet hat, vergehen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Ob, was Ich denke und thue, chriſtlich ſei, was küm¬<lb/>
mert's Mich? Ob es menſchlich, liberal, human, ob unmenſch¬<lb/>
lich, illiberal, inhuman, was frag' Ich darnach? Wenn es<lb/>
nur bezweckt, was Ich will, wenn Ich nur Mich darin be¬<lb/>
friedige, dann belegt es mit Prädikaten wie Ihr wollt: es<lb/>
gilt Mir gleich.</p><lb/><p>Auch Ich wehre Mich vielleicht ſchon im nächſten Augen¬<lb/>
blicke gegen meinen vorigen Gedanken, auch Ich ändere wohl<lb/>
plötzlich meine Handlungsweiſe; aber nicht darum, weil ſie der<lb/>
Chriſtlichkeit nicht entſpricht, nicht darum, weil ſie gegen die<lb/>
ewigen Menſchenrechte läuft, nicht darum, weil ſie der Idee<lb/>
der Menſchheit, Menſchlichkeit und Humanität in's Geſicht<lb/>ſchlägt, ſondern — weil Ich nicht mehr ganz dabei bin, weil<lb/>ſie Mir keinen vollen Genuß mehr bereitet, weil Ich an dem<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[478/0486]
Es ſchlägt die Kritik eine Idee nur durch eine andere,
z. B. die des Privilegiums durch die der Menſchheit, oder
die des Egoismus durch die der Uneigennützigkeit.
Ueberhaupt tritt der Anfang des Chriſtenthums in ſei¬
nem kritiſchen Ende wieder auf, indem hier wie dort der
„Egoismus“ bekämpft wird. Nicht Mich, den Einzelnen,
ſondern die Idee, das Allgemeine, ſoll Ich zur Geltung
bringen.
Krieg des Pfaffenthums mit dem Egoismus, der geiſt¬
lich Geſinnten mit den weltlich Geſinnten macht ja den In¬
halt der ganzen chriſtlichen Geſchichte aus. In der neueſten
Kritik wird dieſer Krieg nur allumfaſſend, der Fanatismus
vollſtändig. Freilich kann er auch ſo erſt, nachdem er ſich
ausgelebt und ausgewüthet hat, vergehen.
Ob, was Ich denke und thue, chriſtlich ſei, was küm¬
mert's Mich? Ob es menſchlich, liberal, human, ob unmenſch¬
lich, illiberal, inhuman, was frag' Ich darnach? Wenn es
nur bezweckt, was Ich will, wenn Ich nur Mich darin be¬
friedige, dann belegt es mit Prädikaten wie Ihr wollt: es
gilt Mir gleich.
Auch Ich wehre Mich vielleicht ſchon im nächſten Augen¬
blicke gegen meinen vorigen Gedanken, auch Ich ändere wohl
plötzlich meine Handlungsweiſe; aber nicht darum, weil ſie der
Chriſtlichkeit nicht entſpricht, nicht darum, weil ſie gegen die
ewigen Menſchenrechte läuft, nicht darum, weil ſie der Idee
der Menſchheit, Menſchlichkeit und Humanität in's Geſicht
ſchlägt, ſondern — weil Ich nicht mehr ganz dabei bin, weil
ſie Mir keinen vollen Genuß mehr bereitet, weil Ich an dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/486>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.