kann. Daß Ich Mich "vernehmbar" mache, das allein ist "Vernunft", sei Ich auch noch so unvernünftig; indem Ich Mich vernehmen lasse und so Mich selbst vernehme, genießen Andere sowohl als Ich selber Mich, und verzehren Mich zugleich.
Was wäre denn gewonnen, wenn, wie früher das recht¬ gläubige, das loyale, das sittliche u.s.w. Ich frei war, nun das vernünftige Ich frei würde? Wäre dieß die Frei¬ heit Meiner?
Bin Ich als "vernünftiges Ich" frei, so ist das Vernünf¬ tige an Mir oder die Vernunft frei, und diese Freiheit der Vernunft oder Freiheit des Gedankens war von jeher das Ideal der christlichen Welt. Das Denken -- und, wie gesagt, ist der Glaube auch Denken, wie das Denken Glaube ist -- wollte man frei machen, die Denkenden, d. h. sowohl die Gläubigen als die Vernünftigen, sollten frei sein, für die Uebrigen war Freiheit unmöglich. Die Freiheit der Denken¬ den aber ist die "Freiheit der Kinder Gottes" und zugleich die unbarmherzigste -- Hierarchie oder Herrschaft des Gedankens: denn dem Gedanken erliege Ich. Sind die Gedanken frei, so bin Ich ihr Sklave, so habe Ich keine Gewalt über sie und werde von ihnen beherrscht. Ich aber will den Gedanken ha¬ ben, will voller Gedanken sein, aber zugleich will Ich gedan¬ kenlos sein, und bewahre Mir statt der Gedankenfreiheit die Gedankenlosigkeit.
Kommt es darauf an, sich zu verständigen und mitzuthei¬ len, so kann Ich allerdings nur von den menschlichen Mit¬ teln Gebrauch machen, die Mir, weil Ich zugleich Mensch bin, zu Gebote stehen. Und wirklich habe Ich nur als Mensch Gedanken, als Ich bin Ich zugleich gedankenlos.
kann. Daß Ich Mich „vernehmbar“ mache, das allein iſt „Vernunft“, ſei Ich auch noch ſo unvernünftig; indem Ich Mich vernehmen laſſe und ſo Mich ſelbſt vernehme, genießen Andere ſowohl als Ich ſelber Mich, und verzehren Mich zugleich.
Was wäre denn gewonnen, wenn, wie früher das recht¬ gläubige, das loyale, das ſittliche u.ſ.w. Ich frei war, nun das vernünftige Ich frei würde? Wäre dieß die Frei¬ heit Meiner?
Bin Ich als „vernünftiges Ich“ frei, ſo iſt das Vernünf¬ tige an Mir oder die Vernunft frei, und dieſe Freiheit der Vernunft oder Freiheit des Gedankens war von jeher das Ideal der chriſtlichen Welt. Das Denken — und, wie geſagt, iſt der Glaube auch Denken, wie das Denken Glaube iſt — wollte man frei machen, die Denkenden, d. h. ſowohl die Gläubigen als die Vernünftigen, ſollten frei ſein, für die Uebrigen war Freiheit unmöglich. Die Freiheit der Denken¬ den aber iſt die „Freiheit der Kinder Gottes“ und zugleich die unbarmherzigſte — Hierarchie oder Herrſchaft des Gedankens: denn dem Gedanken erliege Ich. Sind die Gedanken frei, ſo bin Ich ihr Sklave, ſo habe Ich keine Gewalt über ſie und werde von ihnen beherrſcht. Ich aber will den Gedanken ha¬ ben, will voller Gedanken ſein, aber zugleich will Ich gedan¬ kenlos ſein, und bewahre Mir ſtatt der Gedankenfreiheit die Gedankenloſigkeit.
Kommt es darauf an, ſich zu verſtändigen und mitzuthei¬ len, ſo kann Ich allerdings nur von den menſchlichen Mit¬ teln Gebrauch machen, die Mir, weil Ich zugleich Menſch bin, zu Gebote ſtehen. Und wirklich habe Ich nur als Menſch Gedanken, als Ich bin Ich zugleich gedankenlos.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0470"n="462"/>
kann. Daß Ich Mich „<hirendition="#g">vernehmbar</hi>“ mache, das allein<lb/>
iſt „Vernunft“, ſei Ich auch noch ſo unvernünftig; indem Ich<lb/>
Mich vernehmen laſſe und ſo Mich ſelbſt vernehme, genießen<lb/>
Andere ſowohl als Ich ſelber Mich, und verzehren Mich<lb/>
zugleich.</p><lb/><p>Was wäre denn gewonnen, wenn, wie früher das recht¬<lb/>
gläubige, das loyale, das ſittliche u.ſ.w. Ich frei war,<lb/>
nun das vernünftige Ich frei würde? Wäre dieß die Frei¬<lb/>
heit Meiner?</p><lb/><p>Bin Ich als „vernünftiges Ich“ frei, ſo iſt das Vernünf¬<lb/>
tige an Mir oder die Vernunft frei, und dieſe Freiheit der<lb/>
Vernunft oder Freiheit des Gedankens war von jeher das Ideal<lb/>
der chriſtlichen Welt. Das Denken — und, wie geſagt, iſt<lb/>
der Glaube auch Denken, wie das Denken Glaube iſt —<lb/>
wollte man frei machen, die Denkenden, d. h. ſowohl die<lb/>
Gläubigen als die Vernünftigen, ſollten frei ſein, für die<lb/>
Uebrigen war Freiheit unmöglich. Die Freiheit der Denken¬<lb/>
den aber iſt die „Freiheit der Kinder Gottes“ und zugleich die<lb/>
unbarmherzigſte — Hierarchie oder Herrſchaft des Gedankens:<lb/>
denn dem Gedanken erliege <hirendition="#g">Ich</hi>. Sind die Gedanken frei, ſo<lb/>
bin Ich ihr Sklave, ſo habe Ich keine Gewalt über ſie und<lb/>
werde von ihnen beherrſcht. Ich aber will den Gedanken ha¬<lb/>
ben, will voller Gedanken ſein, aber zugleich will Ich gedan¬<lb/>
kenlos ſein, und bewahre Mir ſtatt der Gedankenfreiheit die<lb/>
Gedankenloſigkeit.</p><lb/><p>Kommt es darauf an, ſich zu verſtändigen und mitzuthei¬<lb/>
len, ſo kann Ich allerdings nur von den <hirendition="#g">menſchlichen</hi> Mit¬<lb/>
teln Gebrauch machen, die Mir, weil Ich zugleich Menſch<lb/>
bin, zu Gebote ſtehen. Und wirklich habe Ich nur <hirendition="#g">als<lb/>
Menſch</hi> Gedanken, als Ich bin Ich zugleich <hirendition="#g">gedankenlos</hi>.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[462/0470]
kann. Daß Ich Mich „vernehmbar“ mache, das allein
iſt „Vernunft“, ſei Ich auch noch ſo unvernünftig; indem Ich
Mich vernehmen laſſe und ſo Mich ſelbſt vernehme, genießen
Andere ſowohl als Ich ſelber Mich, und verzehren Mich
zugleich.
Was wäre denn gewonnen, wenn, wie früher das recht¬
gläubige, das loyale, das ſittliche u.ſ.w. Ich frei war,
nun das vernünftige Ich frei würde? Wäre dieß die Frei¬
heit Meiner?
Bin Ich als „vernünftiges Ich“ frei, ſo iſt das Vernünf¬
tige an Mir oder die Vernunft frei, und dieſe Freiheit der
Vernunft oder Freiheit des Gedankens war von jeher das Ideal
der chriſtlichen Welt. Das Denken — und, wie geſagt, iſt
der Glaube auch Denken, wie das Denken Glaube iſt —
wollte man frei machen, die Denkenden, d. h. ſowohl die
Gläubigen als die Vernünftigen, ſollten frei ſein, für die
Uebrigen war Freiheit unmöglich. Die Freiheit der Denken¬
den aber iſt die „Freiheit der Kinder Gottes“ und zugleich die
unbarmherzigſte — Hierarchie oder Herrſchaft des Gedankens:
denn dem Gedanken erliege Ich. Sind die Gedanken frei, ſo
bin Ich ihr Sklave, ſo habe Ich keine Gewalt über ſie und
werde von ihnen beherrſcht. Ich aber will den Gedanken ha¬
ben, will voller Gedanken ſein, aber zugleich will Ich gedan¬
kenlos ſein, und bewahre Mir ſtatt der Gedankenfreiheit die
Gedankenloſigkeit.
Kommt es darauf an, ſich zu verſtändigen und mitzuthei¬
len, ſo kann Ich allerdings nur von den menſchlichen Mit¬
teln Gebrauch machen, die Mir, weil Ich zugleich Menſch
bin, zu Gebote ſtehen. Und wirklich habe Ich nur als
Menſch Gedanken, als Ich bin Ich zugleich gedankenlos.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/470>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.