Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

aufgenommen, wird ein Unsinnliches, welches indeß wieder
sinnliche Wirkungen haben kann, z. B. durch Aufregung mei¬
ner Affecte und meines Blutes.

Es ist schon gut, daß Feuerbach die Sinnlichkeit zu Eh¬
ren bringt, aber er weiß dabei nur den Materialismus seiner
"neuen Philosophie" mit dem bisherigen Eigenthum des Idealis¬
mus, der "absoluten Philosophie", zu bekleiden. So wenig
die Leute sich's einreden lassen, daß man vom "Geistigen"
allein, ohne Brot, leben könne, so wenig werden sie ihm glau¬
ben, daß man als ein Sinnlicher schon alles sei, also geistig,
gedankenvoll u.s.w.

Durch das Sein wird gar nichts gerechtfertigt. Das
Gedachte ist so gut als das Nicht-Gedachte, der Stein auf
der Straße ist und meine Vorstellung von ihm ist auch. Beide
sind nur in verschiedenen Räumen, jener im luftigen, dieser in
meinem Kopfe, in Mir: denn Ich bin Raum wie die Straße.

Die Zünftigen oder Privilegirten dulden keine Gedanken¬
freiheit, d. h. keine Gedanken, die nicht von dem "Geber alles
Guten" kommen, heiße dieser Geber Gott, Papst, Kirche oder
wie sonst. Hat Jemand dergleichen illegitime Gedanken, so
muß er sie seinem Beichtvater ins Ohr sagen und sich von
ihm so lange kasteien lassen, bis den freien Gedanken die Skla¬
venpeitsche unerträglich wird. Auch auf andere Weise sorgt
der Zunftgeist dafür, daß freie Gedanken gar nicht kommen,
vor allem durch eine weise Erziehung. Wem die Grundsätze
der Moral gehörig eingeprägt wurden, der wird von morali¬
schen Gedanken niemals wieder frei, und Raub, Meineid,
Uebervortheilung u. dgl. bleiben ihm fixe Ideen, gegen die
ihn keine Gedankenfreiheit schützt. Er bat seine Gedanken
"von oben" und bleibt dabei.

aufgenommen, wird ein Unſinnliches, welches indeß wieder
ſinnliche Wirkungen haben kann, z. B. durch Aufregung mei¬
ner Affecte und meines Blutes.

Es iſt ſchon gut, daß Feuerbach die Sinnlichkeit zu Eh¬
ren bringt, aber er weiß dabei nur den Materialismus ſeiner
„neuen Philoſophie“ mit dem bisherigen Eigenthum des Idealis¬
mus, der „abſoluten Philoſophie“, zu bekleiden. So wenig
die Leute ſich's einreden laſſen, daß man vom „Geiſtigen“
allein, ohne Brot, leben könne, ſo wenig werden ſie ihm glau¬
ben, daß man als ein Sinnlicher ſchon alles ſei, alſo geiſtig,
gedankenvoll u.ſ.w.

Durch das Sein wird gar nichts gerechtfertigt. Das
Gedachte iſt ſo gut als das Nicht-Gedachte, der Stein auf
der Straße iſt und meine Vorſtellung von ihm iſt auch. Beide
ſind nur in verſchiedenen Räumen, jener im luftigen, dieſer in
meinem Kopfe, in Mir: denn Ich bin Raum wie die Straße.

Die Zünftigen oder Privilegirten dulden keine Gedanken¬
freiheit, d. h. keine Gedanken, die nicht von dem „Geber alles
Guten“ kommen, heiße dieſer Geber Gott, Papſt, Kirche oder
wie ſonſt. Hat Jemand dergleichen illegitime Gedanken, ſo
muß er ſie ſeinem Beichtvater ins Ohr ſagen und ſich von
ihm ſo lange kaſteien laſſen, bis den freien Gedanken die Skla¬
venpeitſche unerträglich wird. Auch auf andere Weiſe ſorgt
der Zunftgeiſt dafür, daß freie Gedanken gar nicht kommen,
vor allem durch eine weiſe Erziehung. Wem die Grundſätze
der Moral gehörig eingeprägt wurden, der wird von morali¬
ſchen Gedanken niemals wieder frei, und Raub, Meineid,
Uebervortheilung u. dgl. bleiben ihm fixe Ideen, gegen die
ihn keine Gedankenfreiheit ſchützt. Er bat ſeine Gedanken
„von oben“ und bleibt dabei.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0464" n="456"/>
aufgenommen, wird ein Un&#x017F;innliches, welches indeß wieder<lb/>
&#x017F;innliche Wirkungen haben kann, z. B. durch Aufregung mei¬<lb/>
ner Affecte und meines Blutes.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t &#x017F;chon gut, daß Feuerbach die Sinnlichkeit zu Eh¬<lb/>
ren bringt, aber er weiß dabei nur den Materialismus &#x017F;einer<lb/>
&#x201E;neuen Philo&#x017F;ophie&#x201C; mit dem bisherigen Eigenthum des Idealis¬<lb/>
mus, der &#x201E;ab&#x017F;oluten Philo&#x017F;ophie&#x201C;, zu bekleiden. So wenig<lb/>
die Leute &#x017F;ich's einreden la&#x017F;&#x017F;en, daß man vom &#x201E;Gei&#x017F;tigen&#x201C;<lb/>
allein, ohne Brot, leben könne, &#x017F;o wenig werden &#x017F;ie ihm glau¬<lb/>
ben, daß man als ein Sinnlicher &#x017F;chon alles &#x017F;ei, al&#x017F;o gei&#x017F;tig,<lb/>
gedankenvoll u.&#x017F;.w.</p><lb/>
            <p>Durch das <hi rendition="#g">Sein</hi> wird gar nichts gerechtfertigt. Das<lb/>
Gedachte i&#x017F;t &#x017F;o gut als das Nicht-Gedachte, der Stein auf<lb/>
der Straße i&#x017F;t und meine Vor&#x017F;tellung von ihm i&#x017F;t auch. Beide<lb/>
&#x017F;ind nur in ver&#x017F;chiedenen Räumen, jener im luftigen, die&#x017F;er in<lb/>
meinem Kopfe, in <hi rendition="#g">Mir</hi>: denn Ich bin Raum wie die Straße.</p><lb/>
            <p>Die Zünftigen oder Privilegirten dulden keine Gedanken¬<lb/>
freiheit, d. h. keine Gedanken, die nicht von dem &#x201E;Geber alles<lb/>
Guten&#x201C; kommen, heiße die&#x017F;er Geber Gott, Pap&#x017F;t, Kirche oder<lb/>
wie &#x017F;on&#x017F;t. Hat Jemand dergleichen illegitime Gedanken, &#x017F;o<lb/>
muß er &#x017F;ie &#x017F;einem Beichtvater ins Ohr &#x017F;agen und &#x017F;ich von<lb/>
ihm &#x017F;o lange ka&#x017F;teien la&#x017F;&#x017F;en, bis den freien Gedanken die Skla¬<lb/>
venpeit&#x017F;che unerträglich wird. Auch auf andere Wei&#x017F;e &#x017F;orgt<lb/>
der Zunftgei&#x017F;t dafür, daß freie Gedanken gar nicht kommen,<lb/>
vor allem durch eine wei&#x017F;e Erziehung. Wem die Grund&#x017F;ätze<lb/>
der Moral gehörig eingeprägt wurden, der wird von morali¬<lb/>
&#x017F;chen Gedanken niemals wieder frei, und Raub, Meineid,<lb/>
Uebervortheilung u. dgl. bleiben ihm fixe Ideen, gegen die<lb/>
ihn keine Gedankenfreiheit &#x017F;chützt. Er bat &#x017F;eine Gedanken<lb/>
&#x201E;von oben&#x201C; und bleibt dabei.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[456/0464] aufgenommen, wird ein Unſinnliches, welches indeß wieder ſinnliche Wirkungen haben kann, z. B. durch Aufregung mei¬ ner Affecte und meines Blutes. Es iſt ſchon gut, daß Feuerbach die Sinnlichkeit zu Eh¬ ren bringt, aber er weiß dabei nur den Materialismus ſeiner „neuen Philoſophie“ mit dem bisherigen Eigenthum des Idealis¬ mus, der „abſoluten Philoſophie“, zu bekleiden. So wenig die Leute ſich's einreden laſſen, daß man vom „Geiſtigen“ allein, ohne Brot, leben könne, ſo wenig werden ſie ihm glau¬ ben, daß man als ein Sinnlicher ſchon alles ſei, alſo geiſtig, gedankenvoll u.ſ.w. Durch das Sein wird gar nichts gerechtfertigt. Das Gedachte iſt ſo gut als das Nicht-Gedachte, der Stein auf der Straße iſt und meine Vorſtellung von ihm iſt auch. Beide ſind nur in verſchiedenen Räumen, jener im luftigen, dieſer in meinem Kopfe, in Mir: denn Ich bin Raum wie die Straße. Die Zünftigen oder Privilegirten dulden keine Gedanken¬ freiheit, d. h. keine Gedanken, die nicht von dem „Geber alles Guten“ kommen, heiße dieſer Geber Gott, Papſt, Kirche oder wie ſonſt. Hat Jemand dergleichen illegitime Gedanken, ſo muß er ſie ſeinem Beichtvater ins Ohr ſagen und ſich von ihm ſo lange kaſteien laſſen, bis den freien Gedanken die Skla¬ venpeitſche unerträglich wird. Auch auf andere Weiſe ſorgt der Zunftgeiſt dafür, daß freie Gedanken gar nicht kommen, vor allem durch eine weiſe Erziehung. Wem die Grundſätze der Moral gehörig eingeprägt wurden, der wird von morali¬ ſchen Gedanken niemals wieder frei, und Raub, Meineid, Uebervortheilung u. dgl. bleiben ihm fixe Ideen, gegen die ihn keine Gedankenfreiheit ſchützt. Er bat ſeine Gedanken „von oben“ und bleibt dabei.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/464
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/464>, abgerufen am 23.11.2024.