so bin Ich wahrlich auch nicht Geist. Freiheit des Geistes ist Knechtschaft Meiner, weil Ich mehr bin als Geist oder Fleisch.
Ohne Zweifel hat die Bildung Mich zum Gewaltigen gemacht. Sie hat Mir Gewalt über alle Antriebe gegeben, sowohl über die Triebe meiner Natur als über die Zumuthun¬ gen und Gewaltthätigkeiten der Welt. Ich weiß und habe durch die Bildung die Kraft dazu gewonnen, daß Ich Mich durch keine meiner Begierden, Lüste, Aufwallungen u. s. w. zwingen zu lassen brauche: Ich bin ihr -- Herr; gleicher¬ weise werde Ich durch die Wissenschaften und Künste der Herr der widerspenstigen Welt, dem Meer und Erde gehorchen und selbst die Sterne Rede stehen müssen. Der Geist hat Mich zum Herrn gemacht. -- Aber über den Geist selbst habe Ich keine Gewalt. Aus der Religion (Bildung) lerne Ich wohl die Mittel zur "Besiegung der Welt", aber nicht, wie Ich auch Gott bezwinge und seiner Herr werde; denn Gott "ist der Geist". Und zwar kann der Geist, dessen Ich nicht Herr zu werden vermag, die mannigfaltigsten Gestalten haben: er kann Gott heißen oder Volksgeist, Staat, Familie, Vernunft, auch -- Freiheit, Menschlichkeit, Mensch.
Ich nehme mit Dank auf, was die Jahrhunderte der Bildung Mir erworben haben; nichts davon will Ich weg¬ werfen und aufgeben: Ich habe nicht umsonst gelebt. Die Erfahrung, daß Ich Gewalt über meine Natur habe und nicht der Sklave meiner Begierden zu sein brauche, soll Mir nicht verloren gehen; die Erfahrung, daß Ich durch Bildungs¬ mittel die Welt bezwingen kann, ist zu theuer erkauft, als daß Ich sie vergessen könnte. Aber Ich will noch mehr.
Man fragt, was kann der Mensch werden, was kann
ſo bin Ich wahrlich auch nicht Geiſt. Freiheit des Geiſtes iſt Knechtſchaft Meiner, weil Ich mehr bin als Geiſt oder Fleiſch.
Ohne Zweifel hat die Bildung Mich zum Gewaltigen gemacht. Sie hat Mir Gewalt über alle Antriebe gegeben, ſowohl über die Triebe meiner Natur als über die Zumuthun¬ gen und Gewaltthätigkeiten der Welt. Ich weiß und habe durch die Bildung die Kraft dazu gewonnen, daß Ich Mich durch keine meiner Begierden, Lüſte, Aufwallungen u. ſ. w. zwingen zu laſſen brauche: Ich bin ihr — Herr; gleicher¬ weiſe werde Ich durch die Wiſſenſchaften und Künſte der Herr der widerſpenſtigen Welt, dem Meer und Erde gehorchen und ſelbſt die Sterne Rede ſtehen müſſen. Der Geiſt hat Mich zum Herrn gemacht. — Aber über den Geiſt ſelbſt habe Ich keine Gewalt. Aus der Religion (Bildung) lerne Ich wohl die Mittel zur „Beſiegung der Welt“, aber nicht, wie Ich auch Gott bezwinge und ſeiner Herr werde; denn Gott „iſt der Geiſt“. Und zwar kann der Geiſt, deſſen Ich nicht Herr zu werden vermag, die mannigfaltigſten Geſtalten haben: er kann Gott heißen oder Volksgeiſt, Staat, Familie, Vernunft, auch — Freiheit, Menſchlichkeit, Menſch.
Ich nehme mit Dank auf, was die Jahrhunderte der Bildung Mir erworben haben; nichts davon will Ich weg¬ werfen und aufgeben: Ich habe nicht umſonſt gelebt. Die Erfahrung, daß Ich Gewalt über meine Natur habe und nicht der Sklave meiner Begierden zu ſein brauche, ſoll Mir nicht verloren gehen; die Erfahrung, daß Ich durch Bildungs¬ mittel die Welt bezwingen kann, iſt zu theuer erkauft, als daß Ich ſie vergeſſen könnte. Aber Ich will noch mehr.
Man fragt, was kann der Menſch werden, was kann
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ſo bin Ich wahrlich auch nicht Geiſt. Freiheit des Geiſtes
iſt Knechtſchaft Meiner, weil Ich mehr bin als Geiſt oder
Fleiſch.
Ohne Zweifel hat die Bildung Mich zum Gewaltigen
gemacht. Sie hat Mir Gewalt über alle Antriebe gegeben,
ſowohl über die Triebe meiner Natur als über die Zumuthun¬
gen und Gewaltthätigkeiten der Welt. Ich weiß und habe
durch die Bildung die Kraft dazu gewonnen, daß Ich Mich
durch keine meiner Begierden, Lüſte, Aufwallungen u. ſ. w.
zwingen zu laſſen brauche: Ich bin ihr — Herr; gleicher¬
weiſe werde Ich durch die Wiſſenſchaften und Künſte der Herr
der widerſpenſtigen Welt, dem Meer und Erde gehorchen und
ſelbſt die Sterne Rede ſtehen müſſen. Der Geiſt hat Mich
zum Herrn gemacht. — Aber über den Geiſt ſelbſt habe Ich
keine Gewalt. Aus der Religion (Bildung) lerne Ich wohl
die Mittel zur „Beſiegung der Welt“, aber nicht, wie Ich auch
Gott bezwinge und ſeiner Herr werde; denn Gott „iſt der
Geiſt“. Und zwar kann der Geiſt, deſſen Ich nicht Herr zu
werden vermag, die mannigfaltigſten Geſtalten haben: er kann
Gott heißen oder Volksgeiſt, Staat, Familie, Vernunft, auch
— Freiheit, Menſchlichkeit, Menſch.
Ich nehme mit Dank auf, was die Jahrhunderte der
Bildung Mir erworben haben; nichts davon will Ich weg¬
werfen und aufgeben: Ich habe nicht umſonſt gelebt. Die
Erfahrung, daß Ich Gewalt über meine Natur habe und
nicht der Sklave meiner Begierden zu ſein brauche, ſoll Mir
nicht verloren gehen; die Erfahrung, daß Ich durch Bildungs¬
mittel die Welt bezwingen kann, iſt zu theuer erkauft, als daß
Ich ſie vergeſſen könnte. Aber Ich will noch mehr.
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/453>, abgerufen am 23.11.2024.
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