eigentliche Geschichte, d. h. die Periode der Geistigkeit, Geist¬ lichkeit, Unsinnlichkeit, Uebersinnlichkeit, Unsinnigkeit. Der Mensch fängt nun an, etwas sein und werden zu wollen. Was? Gut, schön, wahr; näher sittlich, fromm, wohlgefällig u. s. w. Er will einen "rechten Menschen", "etwas Rechtes" aus sich machen. Der Mensch ist sein Ziel, sein Sollen, seine Bestimmung, Beruf, Aufgabe, sein -- Ideal: er ist sich ein Zukünftiger, Jenseitiger. Und was macht aus ihm einen "rechten Kerl"? Das Wahrsein, Gutsein, Sittlichsein u. dgl. Nun sieht er jeden scheel an, der nicht dasselbe "Was" anerkennt, dieselbe Sittlichkeit sucht, denselben Glauben hat: er verjagt die "Separatisten, Ketzer, Secten" u. s. w.
Kein Schaaf, kein Hund bemüht sich, ein "rechtes Schaaf, ein rechter Hund" zu werden; keinem Thier erscheint sein We¬ sen als eine Aufgabe, d. h. als ein Begriff, den es zu reali¬ siren habe. Es realisirt sich, indem es sich auslebt, d. h. auf¬ löst, vergeht. Es verlangt nicht, etwas Anderes zu sein oder zu werden, als es ist.
Will Ich Euch rathen, den Thieren zu gleichen? Daß Ihr Thiere werden sollt, dazu kann Ich wahrlich nicht ermun¬ tern, da dieß wieder eine Aufgabe, ein Ideal wäre ("Im Fleiß kann Dich die Biene meistern"). Auch wäre es dasselbe, als wünschte man den Thieren, daß sie Menschen werden. Eure Natur ist nun einmal eine menschliche, Ihr seid menschliche Naturen, d. h. Menschen. Aber eben weil Ihr das bereits seid, braucht Ihr's nicht erst zu werden. Auch Thiere werden "dressirt", und ein dressirtes Thier leistet mancherlei Unnatürli¬ ches. Nur ist ein dressirter Hund für sich nichts besseres, als ein natürlicher, und hat keinen Gewinn davon, wenn er auch für Uns umgänglicher ist.
eigentliche Geſchichte, d. h. die Periode der Geiſtigkeit, Geiſt¬ lichkeit, Unſinnlichkeit, Ueberſinnlichkeit, Unſinnigkeit. Der Menſch fängt nun an, etwas ſein und werden zu wollen. Was? Gut, ſchön, wahr; näher ſittlich, fromm, wohlgefällig u. ſ. w. Er will einen „rechten Menſchen“, „etwas Rechtes“ aus ſich machen. Der Menſch iſt ſein Ziel, ſein Sollen, ſeine Beſtimmung, Beruf, Aufgabe, ſein — Ideal: er iſt ſich ein Zukünftiger, Jenſeitiger. Und was macht aus ihm einen „rechten Kerl“? Das Wahrſein, Gutſein, Sittlichſein u. dgl. Nun ſieht er jeden ſcheel an, der nicht daſſelbe „Was“ anerkennt, dieſelbe Sittlichkeit ſucht, denſelben Glauben hat: er verjagt die „Separatiſten, Ketzer, Secten“ u. ſ. w.
Kein Schaaf, kein Hund bemüht ſich, ein „rechtes Schaaf, ein rechter Hund“ zu werden; keinem Thier erſcheint ſein We¬ ſen als eine Aufgabe, d. h. als ein Begriff, den es zu reali¬ ſiren habe. Es realiſirt ſich, indem es ſich auslebt, d. h. auf¬ löſt, vergeht. Es verlangt nicht, etwas Anderes zu ſein oder zu werden, als es iſt.
Will Ich Euch rathen, den Thieren zu gleichen? Daß Ihr Thiere werden ſollt, dazu kann Ich wahrlich nicht ermun¬ tern, da dieß wieder eine Aufgabe, ein Ideal wäre („Im Fleiß kann Dich die Biene meiſtern“). Auch wäre es daſſelbe, als wünſchte man den Thieren, daß ſie Menſchen werden. Eure Natur iſt nun einmal eine menſchliche, Ihr ſeid menſchliche Naturen, d. h. Menſchen. Aber eben weil Ihr das bereits ſeid, braucht Ihr's nicht erſt zu werden. Auch Thiere werden „dreſſirt“, und ein dreſſirtes Thier leiſtet mancherlei Unnatürli¬ ches. Nur iſt ein dreſſirter Hund für ſich nichts beſſeres, als ein natürlicher, und hat keinen Gewinn davon, wenn er auch für Uns umgänglicher iſt.
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Menſch fängt nun an, etwas ſein und werden zu wollen.
Was? Gut, ſchön, wahr; näher ſittlich, fromm, wohlgefällig
u. ſ. w. Er will einen „rechten Menſchen“, „etwas Rechtes“
aus ſich machen. Der Menſch iſt ſein Ziel, ſein Sollen,
ſeine Beſtimmung, Beruf, Aufgabe, ſein — Ideal: er iſt
ſich ein Zukünftiger, Jenſeitiger. Und was macht aus ihm
einen „rechten Kerl“? Das Wahrſein, Gutſein, Sittlichſein
u. dgl. Nun ſieht er jeden ſcheel an, der nicht daſſelbe „Was“
anerkennt, dieſelbe Sittlichkeit ſucht, denſelben Glauben hat: er
verjagt die „Separatiſten, Ketzer, Secten“ u. ſ. w.
Kein Schaaf, kein Hund bemüht ſich, ein „rechtes Schaaf,
ein rechter Hund“ zu werden; keinem Thier erſcheint ſein We¬
ſen als eine Aufgabe, d. h. als ein Begriff, den es zu reali¬
ſiren habe. Es realiſirt ſich, indem es ſich auslebt, d. h. auf¬
löſt, vergeht. Es verlangt nicht, etwas Anderes zu ſein
oder zu werden, als es iſt.
Will Ich Euch rathen, den Thieren zu gleichen? Daß
Ihr Thiere werden ſollt, dazu kann Ich wahrlich nicht ermun¬
tern, da dieß wieder eine Aufgabe, ein Ideal wäre („Im Fleiß
kann Dich die Biene meiſtern“). Auch wäre es daſſelbe, als
wünſchte man den Thieren, daß ſie Menſchen werden. Eure
Natur iſt nun einmal eine menſchliche, Ihr ſeid menſchliche
Naturen, d. h. Menſchen. Aber eben weil Ihr das bereits
ſeid, braucht Ihr's nicht erſt zu werden. Auch Thiere werden
„dreſſirt“, und ein dreſſirtes Thier leiſtet mancherlei Unnatürli¬
ches. Nur iſt ein dreſſirter Hund für ſich nichts beſſeres, als
ein natürlicher, und hat keinen Gewinn davon, wenn er auch
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/451>, abgerufen am 23.11.2024.
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