Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

nichts gewesen als Weltweisheit, ein Trachten hinter und
über die Welt hinaus zu kommen. Und was ist die Weisheit
der vielen folgenden Jahrhunderte? Hinter was suchten die
Neuen zu kommen? Hinter die Welt nicht mehr, denn das
hatten die Alten vollbracht, sondern hinter den Gott, den jene
ihnen hinterließen, hinter den Gott, "der Geist ist", hinter alles,
was des Geistes ist, das Geistige. Die Thätigkeit des Geistes
aber, der "selbst die Tiefen der Gottheit erforscht", ist die Got¬
tesgelahrtheit
. Haben die Alten nichts aufzuweisen als Welt¬
weisheit, so brachten und bringen es die Neuen niemals weiter
als zur Gottesgelahrtheit. Wir werden später sehen, daß selbst
die neuesten Empörungen gegen Gott nichts als die äußersten
Anstrengungen der "Gottesgelahrtheit", d. h. theologische Insur¬
rectionen sind.

§. 1. Der Geist.

Das Geisterreich ist ungeheuer groß, des Geistigen un¬
endlich viel: sehen Wir doch zu, was denn der Geist, diese
Hinterlassenschaft der Alten, eigentlich ist.

Aus ihren Geburtswehen ging er hervor, sie selbst aber
konnten sich nicht als Geist aussprechen: sie konnten ihn ge¬
bären, sprechen mußte er selbst. Der "geborene Gott, der
Menschensohn" spricht erst das Wort aus, daß der Geist, d. h.
er, der Gott, es mit nichts Irdischem und keinem irdischen
Verhältnisse zu thun habe, sondern lediglich mit dem Geiste
und geistigen Verhältnissen.

Ist etwa Mein unter allen Schlägen der Welt unvertilg¬
barer Muth, Meine Unbeugsamkeit und Mein Trotz, weil ihm
die Welt nichts anhat, schon im vollen Sinne der Geist? So
wäre er ja noch mit der Welt in Feindschaft, und all sein

nichts geweſen als Weltweisheit, ein Trachten hinter und
über die Welt hinaus zu kommen. Und was iſt die Weisheit
der vielen folgenden Jahrhunderte? Hinter was ſuchten die
Neuen zu kommen? Hinter die Welt nicht mehr, denn das
hatten die Alten vollbracht, ſondern hinter den Gott, den jene
ihnen hinterließen, hinter den Gott, „der Geiſt iſt“, hinter alles,
was des Geiſtes iſt, das Geiſtige. Die Thätigkeit des Geiſtes
aber, der „ſelbſt die Tiefen der Gottheit erforſcht“, iſt die Got¬
tesgelahrtheit
. Haben die Alten nichts aufzuweiſen als Welt¬
weisheit, ſo brachten und bringen es die Neuen niemals weiter
als zur Gottesgelahrtheit. Wir werden ſpäter ſehen, daß ſelbſt
die neueſten Empörungen gegen Gott nichts als die äußerſten
Anſtrengungen der „Gottesgelahrtheit“, d. h. theologiſche Inſur¬
rectionen ſind.

§. 1. Der Geiſt.

Das Geiſterreich iſt ungeheuer groß, des Geiſtigen un¬
endlich viel: ſehen Wir doch zu, was denn der Geiſt, dieſe
Hinterlaſſenſchaft der Alten, eigentlich iſt.

Aus ihren Geburtswehen ging er hervor, ſie ſelbſt aber
konnten ſich nicht als Geiſt ausſprechen: ſie konnten ihn ge¬
bären, ſprechen mußte er ſelbſt. Der „geborene Gott, der
Menſchenſohn“ ſpricht erſt das Wort aus, daß der Geiſt, d. h.
er, der Gott, es mit nichts Irdiſchem und keinem irdiſchen
Verhältniſſe zu thun habe, ſondern lediglich mit dem Geiſte
und geiſtigen Verhältniſſen.

Iſt etwa Mein unter allen Schlägen der Welt unvertilg¬
barer Muth, Meine Unbeugſamkeit und Mein Trotz, weil ihm
die Welt nichts anhat, ſchon im vollen Sinne der Geiſt? So
wäre er ja noch mit der Welt in Feindſchaft, und all ſein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0045" n="37"/>
nichts gewe&#x017F;en als <hi rendition="#g">Weltweisheit</hi>, ein Trachten hinter und<lb/>
über die Welt hinaus zu kommen. Und was i&#x017F;t die Weisheit<lb/>
der vielen folgenden Jahrhunderte? Hinter was &#x017F;uchten die<lb/>
Neuen zu kommen? Hinter die Welt nicht mehr, denn das<lb/>
hatten die Alten vollbracht, &#x017F;ondern hinter den Gott, den jene<lb/>
ihnen hinterließen, hinter den Gott, &#x201E;der Gei&#x017F;t i&#x017F;t&#x201C;, hinter alles,<lb/>
was des Gei&#x017F;tes i&#x017F;t, das Gei&#x017F;tige. Die Thätigkeit des Gei&#x017F;tes<lb/>
aber, der &#x201E;&#x017F;elb&#x017F;t die Tiefen der Gottheit erfor&#x017F;cht&#x201C;, i&#x017F;t die <hi rendition="#g">Got¬<lb/>
tesgelahrtheit</hi>. Haben die Alten nichts aufzuwei&#x017F;en als Welt¬<lb/>
weisheit, &#x017F;o brachten und bringen es die Neuen niemals weiter<lb/>
als zur Gottesgelahrtheit. Wir werden &#x017F;päter &#x017F;ehen, daß &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
die neue&#x017F;ten Empörungen gegen Gott nichts als die äußer&#x017F;ten<lb/>
An&#x017F;trengungen der &#x201E;Gottesgelahrtheit&#x201C;, d. h. theologi&#x017F;che In&#x017F;ur¬<lb/>
rectionen &#x017F;ind.</p><lb/>
            <div n="4">
              <head><hi rendition="#b">§. 1.</hi><hi rendition="#g">Der Gei&#x017F;t</hi>.<lb/></head>
              <p>Das Gei&#x017F;terreich i&#x017F;t ungeheuer groß, des Gei&#x017F;tigen un¬<lb/>
endlich viel: &#x017F;ehen Wir doch zu, was denn der Gei&#x017F;t, die&#x017F;e<lb/>
Hinterla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft der Alten, eigentlich i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Aus ihren Geburtswehen ging er hervor, &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t aber<lb/>
konnten &#x017F;ich nicht als Gei&#x017F;t aus&#x017F;prechen: &#x017F;ie konnten ihn ge¬<lb/>
bären, &#x017F;prechen mußte er &#x017F;elb&#x017F;t. Der &#x201E;geborene Gott, der<lb/>
Men&#x017F;chen&#x017F;ohn&#x201C; &#x017F;pricht er&#x017F;t das Wort aus, daß der Gei&#x017F;t, d. h.<lb/>
er, der Gott, es mit nichts Irdi&#x017F;chem und keinem irdi&#x017F;chen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e zu thun habe, &#x017F;ondern lediglich mit dem Gei&#x017F;te<lb/>
und gei&#x017F;tigen Verhältni&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
              <p>I&#x017F;t etwa Mein unter allen Schlägen der Welt unvertilg¬<lb/>
barer Muth, Meine Unbeug&#x017F;amkeit und Mein Trotz, weil ihm<lb/>
die Welt nichts anhat, &#x017F;chon im vollen Sinne der Gei&#x017F;t? So<lb/>
wäre er ja noch mit der Welt in Feind&#x017F;chaft, und all &#x017F;ein<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0045] nichts geweſen als Weltweisheit, ein Trachten hinter und über die Welt hinaus zu kommen. Und was iſt die Weisheit der vielen folgenden Jahrhunderte? Hinter was ſuchten die Neuen zu kommen? Hinter die Welt nicht mehr, denn das hatten die Alten vollbracht, ſondern hinter den Gott, den jene ihnen hinterließen, hinter den Gott, „der Geiſt iſt“, hinter alles, was des Geiſtes iſt, das Geiſtige. Die Thätigkeit des Geiſtes aber, der „ſelbſt die Tiefen der Gottheit erforſcht“, iſt die Got¬ tesgelahrtheit. Haben die Alten nichts aufzuweiſen als Welt¬ weisheit, ſo brachten und bringen es die Neuen niemals weiter als zur Gottesgelahrtheit. Wir werden ſpäter ſehen, daß ſelbſt die neueſten Empörungen gegen Gott nichts als die äußerſten Anſtrengungen der „Gottesgelahrtheit“, d. h. theologiſche Inſur¬ rectionen ſind. §. 1. Der Geiſt. Das Geiſterreich iſt ungeheuer groß, des Geiſtigen un¬ endlich viel: ſehen Wir doch zu, was denn der Geiſt, dieſe Hinterlaſſenſchaft der Alten, eigentlich iſt. Aus ihren Geburtswehen ging er hervor, ſie ſelbſt aber konnten ſich nicht als Geiſt ausſprechen: ſie konnten ihn ge¬ bären, ſprechen mußte er ſelbſt. Der „geborene Gott, der Menſchenſohn“ ſpricht erſt das Wort aus, daß der Geiſt, d. h. er, der Gott, es mit nichts Irdiſchem und keinem irdiſchen Verhältniſſe zu thun habe, ſondern lediglich mit dem Geiſte und geiſtigen Verhältniſſen. Iſt etwa Mein unter allen Schlägen der Welt unvertilg¬ barer Muth, Meine Unbeugſamkeit und Mein Trotz, weil ihm die Welt nichts anhat, ſchon im vollen Sinne der Geiſt? So wäre er ja noch mit der Welt in Feindſchaft, und all ſein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/45
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/45>, abgerufen am 24.11.2024.