Indem Ich zu größerer Verdeutlichung auf einen Vergleich sinne, fällt Mir wider Erwarten die Stiftung des Christen¬ thums ein. Man vermerkt es liberaler Seits den ersten Chri¬ sten übel, daß sie gegen die bestehende heidnische Staatsord¬ nung Gehorsam predigten, die heidnische Obrigkeit anzuerken¬ nen befahlen und ein "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist" getrost geboten. Wie viel Aufruhr entstand doch zu der¬ selben Zeit gegen die römische Oberherrschaft, wie aufwieg¬ lerisch bewiesen sich die Juden und selbst die Römer gegen ihre eigene weltliche Regierung, kurz wie beliebt war die "po¬ litische Unzufriedenheit"! Davon wollten jene Christen nichts wissen; wollten den "liberalen Tendenzen" nicht beitreten. Die Zeit war politisch so aufgeregt, daß man, wie's in den Evangelien heißt, den Stifter des Christenthums nicht erfolg¬ reicher anklagen zu können meinte, als wenn man ihn "poli¬ tischer Umtriebe" bezüchtigte, und doch berichten dieselben Evangelien, daß gerade er sich am wenigsten an diesem poli¬ tischen Treiben betheiligte. Warum aber war er kein Revo¬ lutionair, kein Demagoge, wie ihn die Juden gerne gesehen hätten, warum war er kein Liberaler? Weil er von einer Aenderung der Zustände kein Heil erwartete, und diese ganze Wirthschaft ihm gleichgültig war. Er war kein Revolutionair, wie z.B. Cäsar, sondern ein Empörer, kein Staatsumwälzer, sondern Einer, der sich emporrichtete. Darum galt es ihm auch allein um ein "Seid klug wie die Schlangen", was den¬ selben Sinn ausdrückt, als im speciellen Falle jenes "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist"; er führte ja keinen libera¬ len oder politischen Kampf gegen die bestehende Obrigkeit, son¬ dern wollte, unbekümmert um und ungestört von dieser Obrig¬ keit, seinen eigenen Weg wandeln. Nicht minder gleichgültig
Indem Ich zu größerer Verdeutlichung auf einen Vergleich ſinne, fällt Mir wider Erwarten die Stiftung des Chriſten¬ thums ein. Man vermerkt es liberaler Seits den erſten Chri¬ ſten übel, daß ſie gegen die beſtehende heidniſche Staatsord¬ nung Gehorſam predigten, die heidniſche Obrigkeit anzuerken¬ nen befahlen und ein „Gebet dem Kaiſer, was des Kaiſers iſt“ getroſt geboten. Wie viel Aufruhr entſtand doch zu der¬ ſelben Zeit gegen die römiſche Oberherrſchaft, wie aufwieg¬ leriſch bewieſen ſich die Juden und ſelbſt die Römer gegen ihre eigene weltliche Regierung, kurz wie beliebt war die „po¬ litiſche Unzufriedenheit“! Davon wollten jene Chriſten nichts wiſſen; wollten den „liberalen Tendenzen“ nicht beitreten. Die Zeit war politiſch ſo aufgeregt, daß man, wie's in den Evangelien heißt, den Stifter des Chriſtenthums nicht erfolg¬ reicher anklagen zu können meinte, als wenn man ihn „poli¬ tiſcher Umtriebe“ bezüchtigte, und doch berichten dieſelben Evangelien, daß gerade er ſich am wenigſten an dieſem poli¬ tiſchen Treiben betheiligte. Warum aber war er kein Revo¬ lutionair, kein Demagoge, wie ihn die Juden gerne geſehen hätten, warum war er kein Liberaler? Weil er von einer Aenderung der Zuſtände kein Heil erwartete, und dieſe ganze Wirthſchaft ihm gleichgültig war. Er war kein Revolutionair, wie z.B. Cäſar, ſondern ein Empörer, kein Staatsumwälzer, ſondern Einer, der ſich emporrichtete. Darum galt es ihm auch allein um ein „Seid klug wie die Schlangen“, was den¬ ſelben Sinn ausdrückt, als im ſpeciellen Falle jenes „Gebet dem Kaiſer, was des Kaiſers iſt“; er führte ja keinen libera¬ len oder politiſchen Kampf gegen die beſtehende Obrigkeit, ſon¬ dern wollte, unbekümmert um und ungeſtört von dieſer Obrig¬ keit, ſeinen eigenen Weg wandeln. Nicht minder gleichgültig
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Indem Ich zu größerer Verdeutlichung auf einen Vergleich
ſinne, fällt Mir wider Erwarten die Stiftung des Chriſten¬
thums ein. Man vermerkt es liberaler Seits den erſten Chri¬
ſten übel, daß ſie gegen die beſtehende heidniſche Staatsord¬
nung Gehorſam predigten, die heidniſche Obrigkeit anzuerken¬
nen befahlen und ein „Gebet dem Kaiſer, was des Kaiſers
iſt“ getroſt geboten. Wie viel Aufruhr entſtand doch zu der¬
ſelben Zeit gegen die römiſche Oberherrſchaft, wie aufwieg¬
leriſch bewieſen ſich die Juden und ſelbſt die Römer gegen
ihre eigene weltliche Regierung, kurz wie beliebt war die „po¬
litiſche Unzufriedenheit“! Davon wollten jene Chriſten nichts
wiſſen; wollten den „liberalen Tendenzen“ nicht beitreten.
Die Zeit war politiſch ſo aufgeregt, daß man, wie's in den
Evangelien heißt, den Stifter des Chriſtenthums nicht erfolg¬
reicher anklagen zu können meinte, als wenn man ihn „poli¬
tiſcher Umtriebe“ bezüchtigte, und doch berichten dieſelben
Evangelien, daß gerade er ſich am wenigſten an dieſem poli¬
tiſchen Treiben betheiligte. Warum aber war er kein Revo¬
lutionair, kein Demagoge, wie ihn die Juden gerne geſehen
hätten, warum war er kein Liberaler? Weil er von einer
Aenderung der Zuſtände kein Heil erwartete, und dieſe ganze
Wirthſchaft ihm gleichgültig war. Er war kein Revolutionair,
wie z.B. Cäſar, ſondern ein Empörer, kein Staatsumwälzer,
ſondern Einer, der ſich emporrichtete. Darum galt es ihm
auch allein um ein „Seid klug wie die Schlangen“, was den¬
ſelben Sinn ausdrückt, als im ſpeciellen Falle jenes „Gebet
dem Kaiſer, was des Kaiſers iſt“; er führte ja keinen libera¬
len oder politiſchen Kampf gegen die beſtehende Obrigkeit, ſon¬
dern wollte, unbekümmert um und ungeſtört von dieſer Obrig¬
keit, ſeinen eigenen Weg wandeln. Nicht minder gleichgültig
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/431>, abgerufen am 23.11.2024.
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