Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn Ich wollte, daß sie's wüßten, so würde Ich's ihnen
gesagt haben, wie Ich's meinen Freunden sagte. Ich will
nicht, daß sie's wissen. Sie drängen sich in mein Vertrauen,
ohne daß Ich sie dazu berufen und zu meinen Vertrauten ge¬
macht habe; sie wollen erfahren, was Ich verheimlichen will.
So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch
euren Willen brechen wollt, und versucht eure Künste. Ihr
könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle
und ewigem Verdammniß drohen, könnt Mich so mürbe machen,
daß Ich einen falschen Schwur leiste, aber die Wahrheit sollt
Ihr nicht aus Mir herauspressen, denn Ich will Euch belü¬
gen, weil Ich Euch keinen Anspruch und kein Recht auf meine
Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, "welcher die
Wahrheit ist", noch so drohend auf Mich herabsehen, mag das
Lügen Mir noch so sauer werden, Ich habe dennoch den Muth
der Lüge, und selbst wenn ich meines Lebens überdrüssig wäre,
selbst wenn Mir nichts willkommener erschiene, als euer Hen¬
kerschwerdt, so sollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an
Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch
eure Pfaffenkünste zum Verräther an seinem Willen macht.
Als Ich jene hochverrätherischen Worte sprach, da wollte Ich,
daß Ihr nichts davon wissen solltet; denselben Willen behalte
Ich jetzt bei und lasse Mich durch den Fluch der Lüge nicht
schrecken.

Sigismund ist nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er
sein Fürstenwort brach, sondern er brach das Wort, weil er ein
Wicht war; er hätte sein Wort halten können, und wäre doch
ein Wicht, ein Pfaffenknecht gewesen. Luther wurde, von einer
höhern Macht getrieben, seinem Mönchsgelübde untreu: er
wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als

Wenn Ich wollte, daß ſie's wüßten, ſo würde Ich's ihnen
geſagt haben, wie Ich's meinen Freunden ſagte. Ich will
nicht, daß ſie's wiſſen. Sie drängen ſich in mein Vertrauen,
ohne daß Ich ſie dazu berufen und zu meinen Vertrauten ge¬
macht habe; ſie wollen erfahren, was Ich verheimlichen will.
So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch
euren Willen brechen wollt, und verſucht eure Künſte. Ihr
könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle
und ewigem Verdammniß drohen, könnt Mich ſo mürbe machen,
daß Ich einen falſchen Schwur leiſte, aber die Wahrheit ſollt
Ihr nicht aus Mir herauspreſſen, denn Ich will Euch belü¬
gen, weil Ich Euch keinen Anſpruch und kein Recht auf meine
Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, „welcher die
Wahrheit iſt“, noch ſo drohend auf Mich herabſehen, mag das
Lügen Mir noch ſo ſauer werden, Ich habe dennoch den Muth
der Lüge, und ſelbſt wenn ich meines Lebens überdrüſſig wäre,
ſelbſt wenn Mir nichts willkommener erſchiene, als euer Hen¬
kerſchwerdt, ſo ſollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an
Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch
eure Pfaffenkünſte zum Verräther an ſeinem Willen macht.
Als Ich jene hochverrätheriſchen Worte ſprach, da wollte Ich,
daß Ihr nichts davon wiſſen ſolltet; denſelben Willen behalte
Ich jetzt bei und laſſe Mich durch den Fluch der Lüge nicht
ſchrecken.

Sigismund iſt nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er
ſein Fürſtenwort brach, ſondern er brach das Wort, weil er ein
Wicht war; er hätte ſein Wort halten können, und wäre doch
ein Wicht, ein Pfaffenknecht geweſen. Luther wurde, von einer
höhern Macht getrieben, ſeinem Mönchsgelübde untreu: er
wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0406" n="398"/>
            <p>Wenn Ich <hi rendition="#g">wollte</hi>, daß &#x017F;ie's wüßten, &#x017F;o würde Ich's ihnen<lb/>
ge&#x017F;agt haben, wie Ich's meinen Freunden &#x017F;agte. Ich will<lb/>
nicht, daß &#x017F;ie's wi&#x017F;&#x017F;en. Sie drängen &#x017F;ich in mein Vertrauen,<lb/>
ohne daß Ich &#x017F;ie dazu berufen und zu meinen Vertrauten ge¬<lb/>
macht habe; &#x017F;ie <hi rendition="#g">wollen</hi> erfahren, was Ich verheimlichen <hi rendition="#g">will</hi>.<lb/>
So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch<lb/>
euren Willen brechen wollt, und ver&#x017F;ucht eure Kün&#x017F;te. Ihr<lb/>
könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle<lb/>
und ewigem Verdammniß drohen, könnt Mich &#x017F;o mürbe machen,<lb/>
daß Ich einen fal&#x017F;chen Schwur lei&#x017F;te, aber die Wahrheit &#x017F;ollt<lb/>
Ihr nicht aus Mir herauspre&#x017F;&#x017F;en, denn Ich <hi rendition="#g">will</hi> Euch belü¬<lb/>
gen, weil Ich Euch keinen An&#x017F;pruch und kein Recht auf meine<lb/>
Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, &#x201E;welcher die<lb/>
Wahrheit i&#x017F;t&#x201C;, noch &#x017F;o drohend auf Mich herab&#x017F;ehen, mag das<lb/>
Lügen Mir noch &#x017F;o &#x017F;auer werden, Ich habe dennoch den Muth<lb/>
der Lüge, und &#x017F;elb&#x017F;t wenn ich meines Lebens überdrü&#x017F;&#x017F;ig wäre,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t wenn Mir nichts willkommener er&#x017F;chiene, als euer Hen¬<lb/>
ker&#x017F;chwerdt, &#x017F;o &#x017F;ollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an<lb/>
Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch<lb/>
eure Pfaffenkün&#x017F;te zum Verräther an &#x017F;einem <hi rendition="#g">Willen</hi> macht.<lb/>
Als Ich jene hochverrätheri&#x017F;chen Worte &#x017F;prach, da wollte Ich,<lb/>
daß Ihr nichts davon wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olltet; den&#x017F;elben Willen behalte<lb/>
Ich jetzt bei und la&#x017F;&#x017F;e Mich durch den Fluch der Lüge nicht<lb/>
&#x017F;chrecken.</p><lb/>
            <p>Sigismund i&#x017F;t nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er<lb/>
&#x017F;ein Für&#x017F;tenwort brach, &#x017F;ondern er brach das Wort, weil er ein<lb/>
Wicht war; er hätte &#x017F;ein Wort halten können, und wäre doch<lb/>
ein Wicht, ein Pfaffenknecht gewe&#x017F;en. Luther wurde, von einer<lb/>
höhern Macht getrieben, &#x017F;einem Mönchsgelübde untreu: er<lb/>
wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[398/0406] Wenn Ich wollte, daß ſie's wüßten, ſo würde Ich's ihnen geſagt haben, wie Ich's meinen Freunden ſagte. Ich will nicht, daß ſie's wiſſen. Sie drängen ſich in mein Vertrauen, ohne daß Ich ſie dazu berufen und zu meinen Vertrauten ge¬ macht habe; ſie wollen erfahren, was Ich verheimlichen will. So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch euren Willen brechen wollt, und verſucht eure Künſte. Ihr könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle und ewigem Verdammniß drohen, könnt Mich ſo mürbe machen, daß Ich einen falſchen Schwur leiſte, aber die Wahrheit ſollt Ihr nicht aus Mir herauspreſſen, denn Ich will Euch belü¬ gen, weil Ich Euch keinen Anſpruch und kein Recht auf meine Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, „welcher die Wahrheit iſt“, noch ſo drohend auf Mich herabſehen, mag das Lügen Mir noch ſo ſauer werden, Ich habe dennoch den Muth der Lüge, und ſelbſt wenn ich meines Lebens überdrüſſig wäre, ſelbſt wenn Mir nichts willkommener erſchiene, als euer Hen¬ kerſchwerdt, ſo ſollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch eure Pfaffenkünſte zum Verräther an ſeinem Willen macht. Als Ich jene hochverrätheriſchen Worte ſprach, da wollte Ich, daß Ihr nichts davon wiſſen ſolltet; denſelben Willen behalte Ich jetzt bei und laſſe Mich durch den Fluch der Lüge nicht ſchrecken. Sigismund iſt nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er ſein Fürſtenwort brach, ſondern er brach das Wort, weil er ein Wicht war; er hätte ſein Wort halten können, und wäre doch ein Wicht, ein Pfaffenknecht geweſen. Luther wurde, von einer höhern Macht getrieben, ſeinem Mönchsgelübde untreu: er wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/406
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/406>, abgerufen am 23.11.2024.