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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Fetzen der Entschuldigung dem armen Angeschuldigten vom
Leibe, ohne Mitleid schleppt der Kerkermeister ihn in seine
dumpfe Wohnung, ohne Versöhnlichkeit stößt er den Gebrand¬
markten nach abgelaufener Strafzeit wieder unter die verächtlich
anspeienden Menschen, seine guten, christlichen, loyalen Mit¬
brüder! Ja, ohne Gnade wird ein "todeswürdiger" Verbre¬
cher auf das Blutgerüst geführt, und vor den Augen einer
jubelnden Menge feiert das gesühnte Sittengesetz seine erhabene
-- Rache. Eines kann ja nur leben, das Sittengesetz, oder
der Verbrecher. Wo die Verbrecher ungestraft leben, da ist
das Sittengesetz untergegangen, und wo dieses waltet, müssen
jene fallen. Ihre Feindschaft ist unzerstörbar.

Es ist gerade das christliche Zeitalter das der Barm¬
herzigkeit, der Liebe, der Sorge, den Menschen zukommen
zu lassen, was ihnen gebührt, ja sie dahin zu bringen, daß
sie ihren menschlichen (göttlichen) Beruf erfüllen. Man hat
also für den Verkehr obenan gestellt: dieß und dieß ist das
Wesen des Menschen und folglich sein Beruf, wozu ihn ent¬
weder Gott berufen hat oder (nach heutigen Begriffen) sein
Menschsein (die Gattung) ihn beruft. Daher der Bekehrungs¬
eifer. Daß die Communisten und Humanen mehr als die
Christen vom Menschen erwarten, bringt sie keineswegs von
demselben Standpunkte weg. Dem Menschen soll das Mensch¬
liche werden! War es den Frommen genug, daß ihm das
Göttliche zu Theil wurde, so verlangen die Humanen, daß
ihm das Menschliche nicht verkümmert werde. Gegen das Ego¬
istische stemmen sich beide. Natürlich, denn das Egoistische
kann ihm nicht bewilligt oder verliehen werden (Lehen), son¬
dern er muß es selbst sich verschaffen. Jenes ertheilt die Liebe,
dieses kann Mir allein von Mir gegeben werden.

Fetzen der Entſchuldigung dem armen Angeſchuldigten vom
Leibe, ohne Mitleid ſchleppt der Kerkermeiſter ihn in ſeine
dumpfe Wohnung, ohne Verſöhnlichkeit ſtößt er den Gebrand¬
markten nach abgelaufener Strafzeit wieder unter die verächtlich
anſpeienden Menſchen, ſeine guten, chriſtlichen, loyalen Mit¬
brüder! Ja, ohne Gnade wird ein „todeswürdiger“ Verbre¬
cher auf das Blutgerüſt geführt, und vor den Augen einer
jubelnden Menge feiert das geſühnte Sittengeſetz ſeine erhabene
— Rache. Eines kann ja nur leben, das Sittengeſetz, oder
der Verbrecher. Wo die Verbrecher ungeſtraft leben, da iſt
das Sittengeſetz untergegangen, und wo dieſes waltet, müſſen
jene fallen. Ihre Feindſchaft iſt unzerſtörbar.

Es iſt gerade das chriſtliche Zeitalter das der Barm¬
herzigkeit, der Liebe, der Sorge, den Menſchen zukommen
zu laſſen, was ihnen gebührt, ja ſie dahin zu bringen, daß
ſie ihren menſchlichen (göttlichen) Beruf erfüllen. Man hat
alſo für den Verkehr obenan geſtellt: dieß und dieß iſt das
Weſen des Menſchen und folglich ſein Beruf, wozu ihn ent¬
weder Gott berufen hat oder (nach heutigen Begriffen) ſein
Menſchſein (die Gattung) ihn beruft. Daher der Bekehrungs¬
eifer. Daß die Communiſten und Humanen mehr als die
Chriſten vom Menſchen erwarten, bringt ſie keineswegs von
demſelben Standpunkte weg. Dem Menſchen ſoll das Menſch¬
liche werden! War es den Frommen genug, daß ihm das
Göttliche zu Theil wurde, ſo verlangen die Humanen, daß
ihm das Menſchliche nicht verkümmert werde. Gegen das Ego¬
iſtiſche ſtemmen ſich beide. Natürlich, denn das Egoiſtiſche
kann ihm nicht bewilligt oder verliehen werden (Lehen), ſon¬
dern er muß es ſelbſt ſich verſchaffen. Jenes ertheilt die Liebe,
dieſes kann Mir allein von Mir gegeben werden.

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[384/0392] Fetzen der Entſchuldigung dem armen Angeſchuldigten vom Leibe, ohne Mitleid ſchleppt der Kerkermeiſter ihn in ſeine dumpfe Wohnung, ohne Verſöhnlichkeit ſtößt er den Gebrand¬ markten nach abgelaufener Strafzeit wieder unter die verächtlich anſpeienden Menſchen, ſeine guten, chriſtlichen, loyalen Mit¬ brüder! Ja, ohne Gnade wird ein „todeswürdiger“ Verbre¬ cher auf das Blutgerüſt geführt, und vor den Augen einer jubelnden Menge feiert das geſühnte Sittengeſetz ſeine erhabene — Rache. Eines kann ja nur leben, das Sittengeſetz, oder der Verbrecher. Wo die Verbrecher ungeſtraft leben, da iſt das Sittengeſetz untergegangen, und wo dieſes waltet, müſſen jene fallen. Ihre Feindſchaft iſt unzerſtörbar. Es iſt gerade das chriſtliche Zeitalter das der Barm¬ herzigkeit, der Liebe, der Sorge, den Menſchen zukommen zu laſſen, was ihnen gebührt, ja ſie dahin zu bringen, daß ſie ihren menſchlichen (göttlichen) Beruf erfüllen. Man hat alſo für den Verkehr obenan geſtellt: dieß und dieß iſt das Weſen des Menſchen und folglich ſein Beruf, wozu ihn ent¬ weder Gott berufen hat oder (nach heutigen Begriffen) ſein Menſchſein (die Gattung) ihn beruft. Daher der Bekehrungs¬ eifer. Daß die Communiſten und Humanen mehr als die Chriſten vom Menſchen erwarten, bringt ſie keineswegs von demſelben Standpunkte weg. Dem Menſchen ſoll das Menſch¬ liche werden! War es den Frommen genug, daß ihm das Göttliche zu Theil wurde, ſo verlangen die Humanen, daß ihm das Menſchliche nicht verkümmert werde. Gegen das Ego¬ iſtiſche ſtemmen ſich beide. Natürlich, denn das Egoiſtiſche kann ihm nicht bewilligt oder verliehen werden (Lehen), ſon¬ dern er muß es ſelbſt ſich verſchaffen. Jenes ertheilt die Liebe, dieſes kann Mir allein von Mir gegeben werden.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/392>, abgerufen am 23.11.2024.