Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

tausend andere Allgemeinheiten darüber setzte, so ist auch bis
auf diesen Tag das Eigenthum noch nicht in seinem vollen
Werthe anerkannt worden. Auch das Eigenthum war nur
Eigenthum eines Gespenstes, z. B. Volkseigenthum; meine
ganze Existenz "gehörte dem Vaterlande": Ich gehörte dem
Vaterlande, dem Volke, dem Staate an, darum auch Alles,
was Ich mein eigen nannte. Man fordert von den Staa¬
ten, sie sollen den Pauperismus beseitigen. Mir scheint, das
heißt verlangen, der Staat solle sich selbst den Kopf abschnei¬
den und vor die Füße legen; denn so lange der Staat das
Ich ist, muß das einzelne Ich ein armer Teufel, ein Nicht-
Ich sein. Der Staat hat nur ein Interesse daran, selbst reich
zu sein; ob Michel reich und Peter arm ist, gilt ihm gleich;
es könnte auch Peter reich und Michel arm sein. Er sieht
gleichgültig zu, wie der Eine verarmt, der Andere reich wird,
unbekümmert um dieß Wechselspiel. Als Einzelne sind sie
vor seinem Angesichte wirklich gleich, darin ist er gerecht: sie
sind beide vor ihm -- Nichts, wie Wir "vor Gott allzumal
Sünder sind"; dagegen hat er ein sehr großes Interesse daran,
daß diejenigen Einzelnen, welche Ihn zu ihrem Ich machen,
an seinem Reichthum Theil haben: er macht sie zu Theil¬
nehmern an seinem Eigenthum. Durch Eigenthum, wo¬
mit er die Einzelnen belohnt, kirrt er sie; es bleibt aber sein
Eigenthum, und Jeder hat nur so lange den Nießbrauch davon,
als er das Ich des Staates in sich trägt, oder ein "loyales
Glied der Gesellschaft" ist; im Gegenfalle wird das Eigen¬
thum confiscirt oder durch peinliche Processe zu Wasser ge¬
macht. Das Eigenthum ist und bleibt sonach Staatseigen¬
thum, nicht Eigenthum des Ichs. Daß der Staat nicht
willkührlich dem Einzelnen entzieht, was er vom Staate hat,

tauſend andere Allgemeinheiten darüber ſetzte, ſo iſt auch bis
auf dieſen Tag das Eigenthum noch nicht in ſeinem vollen
Werthe anerkannt worden. Auch das Eigenthum war nur
Eigenthum eines Geſpenſtes, z. B. Volkseigenthum; meine
ganze Exiſtenz „gehörte dem Vaterlande“: Ich gehörte dem
Vaterlande, dem Volke, dem Staate an, darum auch Alles,
was Ich mein eigen nannte. Man fordert von den Staa¬
ten, ſie ſollen den Pauperismus beſeitigen. Mir ſcheint, das
heißt verlangen, der Staat ſolle ſich ſelbſt den Kopf abſchnei¬
den und vor die Füße legen; denn ſo lange der Staat das
Ich iſt, muß das einzelne Ich ein armer Teufel, ein Nicht-
Ich ſein. Der Staat hat nur ein Intereſſe daran, ſelbſt reich
zu ſein; ob Michel reich und Peter arm iſt, gilt ihm gleich;
es könnte auch Peter reich und Michel arm ſein. Er ſieht
gleichgültig zu, wie der Eine verarmt, der Andere reich wird,
unbekümmert um dieß Wechſelſpiel. Als Einzelne ſind ſie
vor ſeinem Angeſichte wirklich gleich, darin iſt er gerecht: ſie
ſind beide vor ihm — Nichts, wie Wir „vor Gott allzumal
Sünder ſind“; dagegen hat er ein ſehr großes Intereſſe daran,
daß diejenigen Einzelnen, welche Ihn zu ihrem Ich machen,
an ſeinem Reichthum Theil haben: er macht ſie zu Theil¬
nehmern an ſeinem Eigenthum. Durch Eigenthum, wo¬
mit er die Einzelnen belohnt, kirrt er ſie; es bleibt aber ſein
Eigenthum, und Jeder hat nur ſo lange den Nießbrauch davon,
als er das Ich des Staates in ſich trägt, oder ein „loyales
Glied der Geſellſchaft“ iſt; im Gegenfalle wird das Eigen¬
thum confiscirt oder durch peinliche Proceſſe zu Waſſer ge¬
macht. Das Eigenthum iſt und bleibt ſonach Staatseigen¬
thum, nicht Eigenthum des Ichs. Daß der Staat nicht
willkührlich dem Einzelnen entzieht, was er vom Staate hat,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0342" n="334"/>
tau&#x017F;end andere Allgemeinheiten darüber &#x017F;etzte, &#x017F;o i&#x017F;t auch bis<lb/>
auf die&#x017F;en Tag das Eigenthum noch nicht in &#x017F;einem vollen<lb/>
Werthe anerkannt worden. Auch das Eigenthum war nur<lb/>
Eigenthum eines Ge&#x017F;pen&#x017F;tes, z. B. Volkseigenthum; meine<lb/>
ganze Exi&#x017F;tenz &#x201E;gehörte dem Vaterlande&#x201C;: <hi rendition="#g">Ich</hi> gehörte dem<lb/>
Vaterlande, dem Volke, dem Staate an, darum auch Alles,<lb/>
was Ich <hi rendition="#g">mein eigen</hi> nannte. Man fordert von den Staa¬<lb/>
ten, &#x017F;ie &#x017F;ollen den Pauperismus be&#x017F;eitigen. Mir &#x017F;cheint, das<lb/>
heißt verlangen, der Staat &#x017F;olle &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t den Kopf ab&#x017F;chnei¬<lb/>
den und vor die Füße legen; denn &#x017F;o lange der Staat das<lb/>
Ich i&#x017F;t, muß das einzelne Ich ein armer Teufel, ein Nicht-<lb/>
Ich &#x017F;ein. Der Staat hat nur ein Intere&#x017F;&#x017F;e daran, &#x017F;elb&#x017F;t reich<lb/>
zu &#x017F;ein; ob Michel reich und Peter arm i&#x017F;t, gilt ihm gleich;<lb/>
es könnte auch Peter reich und Michel arm &#x017F;ein. Er &#x017F;ieht<lb/>
gleichgültig zu, wie der Eine verarmt, der Andere reich wird,<lb/>
unbekümmert um dieß Wech&#x017F;el&#x017F;piel. Als <hi rendition="#g">Einzelne</hi> &#x017F;ind &#x017F;ie<lb/>
vor &#x017F;einem Ange&#x017F;ichte wirklich gleich, darin i&#x017F;t er gerecht: &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ind beide vor ihm &#x2014; Nichts, wie Wir &#x201E;vor Gott allzumal<lb/>
Sünder &#x017F;ind&#x201C;; dagegen hat er ein &#x017F;ehr großes Intere&#x017F;&#x017F;e daran,<lb/>
daß diejenigen Einzelnen, welche Ihn zu ihrem Ich machen,<lb/>
an <hi rendition="#g">&#x017F;einem</hi> Reichthum Theil haben: er macht &#x017F;ie zu Theil¬<lb/>
nehmern an <hi rendition="#g">&#x017F;einem Eigenthum</hi>. Durch Eigenthum, wo¬<lb/>
mit er die Einzelnen belohnt, kirrt er &#x017F;ie; es bleibt aber <hi rendition="#g">&#x017F;ein</hi><lb/>
Eigenthum, und Jeder hat nur &#x017F;o lange den Nießbrauch davon,<lb/>
als er das Ich des Staates in &#x017F;ich trägt, oder ein &#x201E;loyales<lb/>
Glied der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft&#x201C; i&#x017F;t; im Gegenfalle wird das Eigen¬<lb/>
thum confiscirt oder durch peinliche Proce&#x017F;&#x017F;e zu Wa&#x017F;&#x017F;er ge¬<lb/>
macht. Das Eigenthum i&#x017F;t und bleibt &#x017F;onach <hi rendition="#g">Staatseigen</hi>¬<lb/><hi rendition="#g">thum</hi>, nicht Eigenthum des Ichs. Daß der Staat nicht<lb/>
willkührlich dem Einzelnen entzieht, was er vom Staate hat,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0342] tauſend andere Allgemeinheiten darüber ſetzte, ſo iſt auch bis auf dieſen Tag das Eigenthum noch nicht in ſeinem vollen Werthe anerkannt worden. Auch das Eigenthum war nur Eigenthum eines Geſpenſtes, z. B. Volkseigenthum; meine ganze Exiſtenz „gehörte dem Vaterlande“: Ich gehörte dem Vaterlande, dem Volke, dem Staate an, darum auch Alles, was Ich mein eigen nannte. Man fordert von den Staa¬ ten, ſie ſollen den Pauperismus beſeitigen. Mir ſcheint, das heißt verlangen, der Staat ſolle ſich ſelbſt den Kopf abſchnei¬ den und vor die Füße legen; denn ſo lange der Staat das Ich iſt, muß das einzelne Ich ein armer Teufel, ein Nicht- Ich ſein. Der Staat hat nur ein Intereſſe daran, ſelbſt reich zu ſein; ob Michel reich und Peter arm iſt, gilt ihm gleich; es könnte auch Peter reich und Michel arm ſein. Er ſieht gleichgültig zu, wie der Eine verarmt, der Andere reich wird, unbekümmert um dieß Wechſelſpiel. Als Einzelne ſind ſie vor ſeinem Angeſichte wirklich gleich, darin iſt er gerecht: ſie ſind beide vor ihm — Nichts, wie Wir „vor Gott allzumal Sünder ſind“; dagegen hat er ein ſehr großes Intereſſe daran, daß diejenigen Einzelnen, welche Ihn zu ihrem Ich machen, an ſeinem Reichthum Theil haben: er macht ſie zu Theil¬ nehmern an ſeinem Eigenthum. Durch Eigenthum, wo¬ mit er die Einzelnen belohnt, kirrt er ſie; es bleibt aber ſein Eigenthum, und Jeder hat nur ſo lange den Nießbrauch davon, als er das Ich des Staates in ſich trägt, oder ein „loyales Glied der Geſellſchaft“ iſt; im Gegenfalle wird das Eigen¬ thum confiscirt oder durch peinliche Proceſſe zu Waſſer ge¬ macht. Das Eigenthum iſt und bleibt ſonach Staatseigen¬ thum, nicht Eigenthum des Ichs. Daß der Staat nicht willkührlich dem Einzelnen entzieht, was er vom Staate hat,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/342
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/342>, abgerufen am 23.11.2024.