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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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neues Sehnen, ein neues Abquälen, eine neue Andacht, eine
neue Gottheit, eine neue Zerknirschung.

Mit dem Ideal der "absoluten Freiheit" wird dasselbe
Unwesen getrieben, wie mit allem Absoluten, und nach Heß
z. B. soll sie "in der absoluten menschlichen Gesellschaft rea¬
lisirbar sein". *)Ja diese Verwirklichung wird gleich nachher
ein "Beruf" genannt; ebenso bestimmt er dann die Freiheit als
"Sittlichkeit": es soll das Reich der "Gerechtigkeit" (d. i. Gleich¬
heit) und "Sittlichkeit" (d. i. Freiheit) beginnen u. s. w.

Lächerlich ist, wer, während Genossen seines Stammes,
Familie, Nation u. s. w. viel gelten, -- nichts ist als "auf¬
gebläht" über der Genossen Verdienst; verblendet aber auch
derjenige, der nur "Mensch" sein will. Keiner von ihnen setzt
seinen Werth in die Ausschließlichkeit, sondern in die
Verbundenheit oder in das "Band", welches ihn mit An¬
dern zusammenschließt, in die Blutsbande, Nationalbande,
Menschheitsbande.

Durch die heurigen "Nationalen" ist der Streit wieder
rege geworden zwischen denen, welche bloß menschliches Blut
und menschliche Blutsbande zu haben meinen, und den andern,
welche auf ihr specielles Blut und die speciellen Blutsbande
pochen.

Sehen Wir davon ab, daß Stolz eine Ueberschätzung
ausdrücken könnte, und nehmen Wir's allein für Bewußtsein,
so findet sich ein ungeheurer Abstand zwischen dem Stolze dar¬
auf, einer Nation "anzugehören", also ihr Eigenthum zu sein,
und dem, eine Nationalität sein Eigenthum zu nennen. Die
Nationalität ist meine Eigenschaft, die Nation aber meine Eig¬

*) E. u. Z. B. S. 89 ff.

neues Sehnen, ein neues Abquälen, eine neue Andacht, eine
neue Gottheit, eine neue Zerknirſchung.

Mit dem Ideal der „abſoluten Freiheit“ wird daſſelbe
Unweſen getrieben, wie mit allem Abſoluten, und nach Heß
z. B. ſoll ſie „in der abſoluten menſchlichen Geſellſchaft rea¬
liſirbar ſein“. *)Ja dieſe Verwirklichung wird gleich nachher
ein „Beruf“ genannt; ebenſo beſtimmt er dann die Freiheit als
„Sittlichkeit“: es ſoll das Reich der „Gerechtigkeit“ (d. i. Gleich¬
heit) und „Sittlichkeit“ (d. i. Freiheit) beginnen u. ſ. w.

Lächerlich iſt, wer, während Genoſſen ſeines Stammes,
Familie, Nation u. ſ. w. viel gelten, — nichts iſt als „auf¬
gebläht“ über der Genoſſen Verdienſt; verblendet aber auch
derjenige, der nur „Menſch“ ſein will. Keiner von ihnen ſetzt
ſeinen Werth in die Ausſchließlichkeit, ſondern in die
Verbundenheit oder in das „Band“, welches ihn mit An¬
dern zuſammenſchließt, in die Blutsbande, Nationalbande,
Menſchheitsbande.

Durch die heurigen „Nationalen“ iſt der Streit wieder
rege geworden zwiſchen denen, welche bloß menſchliches Blut
und menſchliche Blutsbande zu haben meinen, und den andern,
welche auf ihr ſpecielles Blut und die ſpeciellen Blutsbande
pochen.

Sehen Wir davon ab, daß Stolz eine Ueberſchätzung
ausdrücken könnte, und nehmen Wir's allein für Bewußtſein,
ſo findet ſich ein ungeheurer Abſtand zwiſchen dem Stolze dar¬
auf, einer Nation „anzugehören“, alſo ihr Eigenthum zu ſein,
und dem, eine Nationalität ſein Eigenthum zu nennen. Die
Nationalität iſt meine Eigenſchaft, die Nation aber meine Eig¬

*) E. u. Z. B. S. 89 ff.
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[322/0330] neues Sehnen, ein neues Abquälen, eine neue Andacht, eine neue Gottheit, eine neue Zerknirſchung. Mit dem Ideal der „abſoluten Freiheit“ wird daſſelbe Unweſen getrieben, wie mit allem Abſoluten, und nach Heß z. B. ſoll ſie „in der abſoluten menſchlichen Geſellſchaft rea¬ liſirbar ſein“. *)Ja dieſe Verwirklichung wird gleich nachher ein „Beruf“ genannt; ebenſo beſtimmt er dann die Freiheit als „Sittlichkeit“: es ſoll das Reich der „Gerechtigkeit“ (d. i. Gleich¬ heit) und „Sittlichkeit“ (d. i. Freiheit) beginnen u. ſ. w. Lächerlich iſt, wer, während Genoſſen ſeines Stammes, Familie, Nation u. ſ. w. viel gelten, — nichts iſt als „auf¬ gebläht“ über der Genoſſen Verdienſt; verblendet aber auch derjenige, der nur „Menſch“ ſein will. Keiner von ihnen ſetzt ſeinen Werth in die Ausſchließlichkeit, ſondern in die Verbundenheit oder in das „Band“, welches ihn mit An¬ dern zuſammenſchließt, in die Blutsbande, Nationalbande, Menſchheitsbande. Durch die heurigen „Nationalen“ iſt der Streit wieder rege geworden zwiſchen denen, welche bloß menſchliches Blut und menſchliche Blutsbande zu haben meinen, und den andern, welche auf ihr ſpecielles Blut und die ſpeciellen Blutsbande pochen. Sehen Wir davon ab, daß Stolz eine Ueberſchätzung ausdrücken könnte, und nehmen Wir's allein für Bewußtſein, ſo findet ſich ein ungeheurer Abſtand zwiſchen dem Stolze dar¬ auf, einer Nation „anzugehören“, alſo ihr Eigenthum zu ſein, und dem, eine Nationalität ſein Eigenthum zu nennen. Die Nationalität iſt meine Eigenſchaft, die Nation aber meine Eig¬ *) E. u. Z. B. S. 89 ff.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/330>, abgerufen am 25.11.2024.