Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Staatssache ist allerdings alles, was das Princip der
Sittlichkeit angeht. Daher mischt sich der chinesische Staat so
sehr in die Familienangelegenheit, und man ist da nichts, wenn
man nicht vor Allem ein gutes Kind seiner Aeltern ist. Die
Familienangelegenheit ist durchaus auch bei Uns Staatsange¬
legenheit, nur daß unser Staat in die Familien ohne ängstliche
Aufsicht -- Vertrauen setzt: durch den Ehebund hält er die
Familie gebunden, und ohne ihn kann dieser Bund nicht gelöst
werden.

Daß der Staat Mich aber für meine Principien verant¬
wortlich macht und gewisse von Mir fordert, das könnte Mich
fragen lassen: Was geht ihn mein "Sparren" (Princip) an?
Sehr viel, denn er ist das -- herrschende Princip.
Man meint, in der Ehescheidungssache, überhaupt im Eherechte,
handle sich's um das Maaß von Recht zwischen Kirche und
Staat. Vielmehr handelt sich's darum, ob ein Heiliges
über den Menschen herrschen solle, heiße dieß nun Glaube
oder Sittengesetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt sich als
derselbe Herrscher wie die Kirche es that. Diese ruht auf
Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.

Man spricht von der Toleranz, dem Freilassen der entge¬
gengesetzten Richtungen u. dgl, wodurch die civilisirten Staaten
sich auszeichnen. Allerdings sind einige stark genug, um selbst
den ungebundensten Meetings zuzusehen, indeß andere ihren
Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen.
Allein für einen Staat wie für den anderen ist das Spiel der
Individuen untereinander, ihr Hin- und Hersummen, ihr täg¬
liches Leben, eine Zufälligkeit, die er wohl ihnen selbst
überlassen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche
seigen freilich noch Mücken und verschlucken Kameele, während

Staatsſache iſt allerdings alles, was das Princip der
Sittlichkeit angeht. Daher miſcht ſich der chineſiſche Staat ſo
ſehr in die Familienangelegenheit, und man iſt da nichts, wenn
man nicht vor Allem ein gutes Kind ſeiner Aeltern iſt. Die
Familienangelegenheit iſt durchaus auch bei Uns Staatsange¬
legenheit, nur daß unſer Staat in die Familien ohne ängſtliche
Aufſicht — Vertrauen ſetzt: durch den Ehebund hält er die
Familie gebunden, und ohne ihn kann dieſer Bund nicht gelöſt
werden.

Daß der Staat Mich aber für meine Principien verant¬
wortlich macht und gewiſſe von Mir fordert, das könnte Mich
fragen laſſen: Was geht ihn mein „Sparren“ (Princip) an?
Sehr viel, denn er iſt das — herrſchende Princip.
Man meint, in der Eheſcheidungsſache, überhaupt im Eherechte,
handle ſich's um das Maaß von Recht zwiſchen Kirche und
Staat. Vielmehr handelt ſich's darum, ob ein Heiliges
über den Menſchen herrſchen ſolle, heiße dieß nun Glaube
oder Sittengeſetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt ſich als
derſelbe Herrſcher wie die Kirche es that. Dieſe ruht auf
Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.

Man ſpricht von der Toleranz, dem Freilaſſen der entge¬
gengeſetzten Richtungen u. dgl, wodurch die civiliſirten Staaten
ſich auszeichnen. Allerdings ſind einige ſtark genug, um ſelbſt
den ungebundenſten Meetings zuzuſehen, indeß andere ihren
Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen.
Allein für einen Staat wie für den anderen iſt das Spiel der
Individuen untereinander, ihr Hin- und Herſummen, ihr täg¬
liches Leben, eine Zufälligkeit, die er wohl ihnen ſelbſt
überlaſſen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche
ſeigen freilich noch Mücken und verſchlucken Kameele, während

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0305" n="297"/>
            <p>Staats&#x017F;ache i&#x017F;t allerdings alles, was das Princip der<lb/>
Sittlichkeit angeht. Daher mi&#x017F;cht &#x017F;ich der chine&#x017F;i&#x017F;che Staat &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ehr in die Familienangelegenheit, und man i&#x017F;t da nichts, wenn<lb/>
man nicht vor Allem ein gutes Kind &#x017F;einer Aeltern i&#x017F;t. Die<lb/>
Familienangelegenheit i&#x017F;t durchaus auch bei Uns Staatsange¬<lb/>
legenheit, nur daß un&#x017F;er Staat in die Familien ohne äng&#x017F;tliche<lb/>
Auf&#x017F;icht &#x2014; Vertrauen &#x017F;etzt: durch den Ehebund hält er die<lb/>
Familie gebunden, und ohne ihn kann die&#x017F;er Bund nicht gelö&#x017F;t<lb/>
werden.</p><lb/>
            <p>Daß der Staat Mich aber für meine Principien verant¬<lb/>
wortlich macht und gewi&#x017F;&#x017F;e von Mir fordert, das könnte Mich<lb/>
fragen la&#x017F;&#x017F;en: Was geht ihn mein &#x201E;Sparren&#x201C; (Princip) an?<lb/>
Sehr viel, denn er i&#x017F;t das &#x2014; <hi rendition="#g">herr&#x017F;chende Princip</hi>.<lb/>
Man meint, in der Ehe&#x017F;cheidungs&#x017F;ache, überhaupt im Eherechte,<lb/>
handle &#x017F;ich's um das Maaß von Recht zwi&#x017F;chen Kirche und<lb/>
Staat. Vielmehr handelt &#x017F;ich's darum, ob ein Heiliges<lb/>
über den Men&#x017F;chen herr&#x017F;chen &#x017F;olle, heiße dieß nun Glaube<lb/>
oder Sittenge&#x017F;etz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt &#x017F;ich als<lb/>
der&#x017F;elbe Herr&#x017F;cher wie die Kirche es that. Die&#x017F;e ruht auf<lb/>
Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.</p><lb/>
            <p>Man &#x017F;pricht von der Toleranz, dem Freila&#x017F;&#x017F;en der entge¬<lb/>
genge&#x017F;etzten Richtungen u. dgl, wodurch die civili&#x017F;irten Staaten<lb/>
&#x017F;ich auszeichnen. Allerdings &#x017F;ind einige &#x017F;tark genug, um &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
den ungebunden&#x017F;ten Meetings zuzu&#x017F;ehen, indeß andere ihren<lb/>
Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen.<lb/>
Allein für einen Staat wie für den anderen i&#x017F;t das Spiel der<lb/>
Individuen untereinander, ihr Hin- und Her&#x017F;ummen, ihr täg¬<lb/>
liches Leben, eine <hi rendition="#g">Zufälligkeit</hi>, die er wohl ihnen &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;en muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche<lb/>
&#x017F;eigen freilich noch Mücken und ver&#x017F;chlucken Kameele, während<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0305] Staatsſache iſt allerdings alles, was das Princip der Sittlichkeit angeht. Daher miſcht ſich der chineſiſche Staat ſo ſehr in die Familienangelegenheit, und man iſt da nichts, wenn man nicht vor Allem ein gutes Kind ſeiner Aeltern iſt. Die Familienangelegenheit iſt durchaus auch bei Uns Staatsange¬ legenheit, nur daß unſer Staat in die Familien ohne ängſtliche Aufſicht — Vertrauen ſetzt: durch den Ehebund hält er die Familie gebunden, und ohne ihn kann dieſer Bund nicht gelöſt werden. Daß der Staat Mich aber für meine Principien verant¬ wortlich macht und gewiſſe von Mir fordert, das könnte Mich fragen laſſen: Was geht ihn mein „Sparren“ (Princip) an? Sehr viel, denn er iſt das — herrſchende Princip. Man meint, in der Eheſcheidungsſache, überhaupt im Eherechte, handle ſich's um das Maaß von Recht zwiſchen Kirche und Staat. Vielmehr handelt ſich's darum, ob ein Heiliges über den Menſchen herrſchen ſolle, heiße dieß nun Glaube oder Sittengeſetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt ſich als derſelbe Herrſcher wie die Kirche es that. Dieſe ruht auf Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit. Man ſpricht von der Toleranz, dem Freilaſſen der entge¬ gengeſetzten Richtungen u. dgl, wodurch die civiliſirten Staaten ſich auszeichnen. Allerdings ſind einige ſtark genug, um ſelbſt den ungebundenſten Meetings zuzuſehen, indeß andere ihren Schergen auftragen, auf Tabackspfeifen Jagd zu machen. Allein für einen Staat wie für den anderen iſt das Spiel der Individuen untereinander, ihr Hin- und Herſummen, ihr täg¬ liches Leben, eine Zufälligkeit, die er wohl ihnen ſelbſt überlaſſen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche ſeigen freilich noch Mücken und verſchlucken Kameele, während

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/305
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/305>, abgerufen am 24.11.2024.