höre Ich sie läuten, die Glocken, die Dich zur ewigen Ruhe bringen, da verhallt die letzte Hoffnung, da summt die letzte Liebe aus, da scheide Ich aus dem öden Hause der Verstor¬ benen und kehre ein zu den -- Lebendigen:
Denn allein der Lebende hat Recht. Fahre wohl, Du Traum so vieler Millionen, fahre wohl, Du tausendjährige Tyrannin deiner Kinder!
Morgen trägt man Dich zu Grabe; bald werden deine Schwestern, die Völker, Dir folgen. Sind sie aber alle ge¬ folgt, so ist -- -- die Menschheit begraben, und Ich bin mein eigen, Ich bin der lachende Erbe!
Das Wort "Gesellschaft" hat seinen Ursprung in dem Worte "Sal". Schließt Ein Saal viele Menschen ein, so macht's der Saal, daß diese Menschen in Gesellschaft sind. Sie sind in Gesellschaft und machen höchstens eine Salon- Gesellschaft aus, indem sie in den herkömmlichen Salon-Re¬ densarten sprechen. Wenn es zu wirklichem Verkehr kommt, so ist dieser als von der Gesellschaft unabhängig zu betrachten, der eintreten oder fehlen kann, ohne die Natur dessen, was Gesellschaft heißt, zu alteriren. Eine Gesellschaft sind die im Saale Befindlichen auch als stumme Personen, oder wenn sie sich lediglich in leeren Höflichkeitsphrasen abspeisen. Verkehr ist Gegenseitigkeit, ist die Handlung, das commercium der Einzelnen; Gesellschaft ist nur Gemeinschaftlichkeit des Saales, und in Gesellschaft befinden sich schon die Statüen eines Mu¬ seum-Saales, sie sind "gruppirt". Man pflegt wohl zu sagen: "man habe diesen Saal gemeinschaftlich inne", es ist aber vielmehr so, daß der Saal Uns inne oder in sich hat. So
höre Ich ſie läuten, die Glocken, die Dich zur ewigen Ruhe bringen, da verhallt die letzte Hoffnung, da ſummt die letzte Liebe aus, da ſcheide Ich aus dem öden Hauſe der Verſtor¬ benen und kehre ein zu den — Lebendigen:
Denn allein der Lebende hat Recht. Fahre wohl, Du Traum ſo vieler Millionen, fahre wohl, Du tauſendjährige Tyrannin deiner Kinder!
Morgen trägt man Dich zu Grabe; bald werden deine Schweſtern, die Völker, Dir folgen. Sind ſie aber alle ge¬ folgt, ſo iſt — — die Menſchheit begraben, und Ich bin mein eigen, Ich bin der lachende Erbe!
Das Wort „Geſellſchaft“ hat ſeinen Urſprung in dem Worte „Sal“. Schließt Ein Saal viele Menſchen ein, ſo macht's der Saal, daß dieſe Menſchen in Geſellſchaft ſind. Sie ſind in Geſellſchaft und machen höchſtens eine Salon- Geſellſchaft aus, indem ſie in den herkömmlichen Salon-Re¬ densarten ſprechen. Wenn es zu wirklichem Verkehr kommt, ſo iſt dieſer als von der Geſellſchaft unabhängig zu betrachten, der eintreten oder fehlen kann, ohne die Natur deſſen, was Geſellſchaft heißt, zu alteriren. Eine Geſellſchaft ſind die im Saale Befindlichen auch als ſtumme Perſonen, oder wenn ſie ſich lediglich in leeren Höflichkeitsphraſen abſpeiſen. Verkehr iſt Gegenſeitigkeit, iſt die Handlung, das commercium der Einzelnen; Geſellſchaft iſt nur Gemeinſchaftlichkeit des Saales, und in Geſellſchaft befinden ſich ſchon die Statüen eines Mu¬ ſeum-Saales, ſie ſind „gruppirt“. Man pflegt wohl zu ſagen: „man habe dieſen Saal gemeinſchaftlich inne“, es iſt aber vielmehr ſo, daß der Saal Uns inne oder in ſich hat. So
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höre Ich ſie läuten, die Glocken, die Dich zur ewigen Ruhe
bringen, da verhallt die letzte Hoffnung, da ſummt die letzte
Liebe aus, da ſcheide Ich aus dem öden Hauſe der Verſtor¬
benen und kehre ein zu den — Lebendigen:
Denn allein der Lebende hat Recht.
Fahre wohl, Du Traum ſo vieler Millionen, fahre wohl, Du
tauſendjährige Tyrannin deiner Kinder!
Morgen trägt man Dich zu Grabe; bald werden deine
Schweſtern, die Völker, Dir folgen. Sind ſie aber alle ge¬
folgt, ſo iſt — — die Menſchheit begraben, und Ich bin mein
eigen, Ich bin der lachende Erbe!
Das Wort „Geſellſchaft“ hat ſeinen Urſprung in dem
Worte „Sal“. Schließt Ein Saal viele Menſchen ein, ſo
macht's der Saal, daß dieſe Menſchen in Geſellſchaft ſind.
Sie ſind in Geſellſchaft und machen höchſtens eine Salon-
Geſellſchaft aus, indem ſie in den herkömmlichen Salon-Re¬
densarten ſprechen. Wenn es zu wirklichem Verkehr kommt,
ſo iſt dieſer als von der Geſellſchaft unabhängig zu betrachten,
der eintreten oder fehlen kann, ohne die Natur deſſen, was
Geſellſchaft heißt, zu alteriren. Eine Geſellſchaft ſind die im
Saale Befindlichen auch als ſtumme Perſonen, oder wenn ſie
ſich lediglich in leeren Höflichkeitsphraſen abſpeiſen. Verkehr
iſt Gegenſeitigkeit, iſt die Handlung, das commercium der
Einzelnen; Geſellſchaft iſt nur Gemeinſchaftlichkeit des Saales,
und in Geſellſchaft befinden ſich ſchon die Statüen eines Mu¬
ſeum-Saales, ſie ſind „gruppirt“. Man pflegt wohl zu ſagen:
„man habe dieſen Saal gemeinſchaftlich inne“, es iſt aber
vielmehr ſo, daß der Saal Uns inne oder in ſich hat. So
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/294>, abgerufen am 27.11.2024.
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