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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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sein Augenmerk zu richten. Ja, wäre das daran gefaßte In¬
teresse weniger leidenschaftlich und verblendet, so würde man
über die Gesellschaft nicht so sehr die Einzelnen darin aus den
Augen verlieren, und erkennen, daß eine Gesellschaft nicht neu
werden kann, so lange diejenigen, welche sie ausmachen und
constituiren, die alten bleiben. Sollte z. B. im jüdischen Volke
eine Gesellschaft entstehen, welche einen neuen Glauben über
die Erde verbreitete, so durften diese Apostel doch keine Pha¬
risäer bleiben.

Wie Du bist, so giebst Du Dich, so benimmst Du Dich
gegen die Menschen: ein Heuchler als Heuchler, ein Christ als
Christ. Darum bestimmt den Charakter einer Gesellschaft der
Charakter ihrer Mitglieder: sie sind die Schöpfer derselben.
So viel müßte man wenigstens einsehen, wenn man auch den
Begriff "Gesellschaft" selbst nicht Prüfen wollte.

Immer fern davon, Sich zur vollen Entwicklung und
Geltung kommen zu lassen, haben die Menschen bisher auch
ihre Gesellschaften nicht auf Sich gründen, oder vielmehr, sie
haben nur "Gesellschaften" gründen und in Gesellschaften leben
können. Es waren die Gesellschaften immer Personen, mäch¬
tige Personen, sogenannte "moralische Personen", d. h. Ge¬
spenster, vor welchen der Einzelne den angemessenen Sparren,
die Gespensterfurcht, hatte. Als solche Gespenster können sie
am füglichsten mit dem Namen "Volk" und respective "Völk¬
chen" bezeichnet werden: das Volk der Erzväter, das Volk der
Hellenen u. s. w., endlich das -- Menschenvolk, die Mensch¬
heit (Anacharsis Cloots schwärmte für die "Nation" der
Menschheit), dann jegliche Unterabtheilung dieses "Volkes",
das seine besonderen Gesellschaften haben konnte und mußte,
das spanische, französische Volk u. s. w., innerhalb desselben

ſein Augenmerk zu richten. Ja, wäre das daran gefaßte In¬
tereſſe weniger leidenſchaftlich und verblendet, ſo würde man
über die Geſellſchaft nicht ſo ſehr die Einzelnen darin aus den
Augen verlieren, und erkennen, daß eine Geſellſchaft nicht neu
werden kann, ſo lange diejenigen, welche ſie ausmachen und
conſtituiren, die alten bleiben. Sollte z. B. im jüdiſchen Volke
eine Geſellſchaft entſtehen, welche einen neuen Glauben über
die Erde verbreitete, ſo durften dieſe Apoſtel doch keine Pha¬
riſäer bleiben.

Wie Du biſt, ſo giebſt Du Dich, ſo benimmſt Du Dich
gegen die Menſchen: ein Heuchler als Heuchler, ein Chriſt als
Chriſt. Darum beſtimmt den Charakter einer Geſellſchaft der
Charakter ihrer Mitglieder: ſie ſind die Schöpfer derſelben.
So viel müßte man wenigſtens einſehen, wenn man auch den
Begriff „Geſellſchaft“ ſelbſt nicht Prüfen wollte.

Immer fern davon, Sich zur vollen Entwicklung und
Geltung kommen zu laſſen, haben die Menſchen bisher auch
ihre Geſellſchaften nicht auf Sich gründen, oder vielmehr, ſie
haben nur „Geſellſchaften“ gründen und in Geſellſchaften leben
können. Es waren die Geſellſchaften immer Perſonen, mäch¬
tige Perſonen, ſogenannte „moraliſche Perſonen“, d. h. Ge¬
ſpenſter, vor welchen der Einzelne den angemeſſenen Sparren,
die Geſpenſterfurcht, hatte. Als ſolche Geſpenſter können ſie
am füglichſten mit dem Namen „Volk“ und reſpective „Völk¬
chen“ bezeichnet werden: das Volk der Erzväter, das Volk der
Hellenen u. ſ. w., endlich das — Menſchenvolk, die Menſch¬
heit (Anacharſis Cloots ſchwärmte für die „Nation“ der
Menſchheit), dann jegliche Unterabtheilung dieſes „Volkes“,
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[277/0285] ſein Augenmerk zu richten. Ja, wäre das daran gefaßte In¬ tereſſe weniger leidenſchaftlich und verblendet, ſo würde man über die Geſellſchaft nicht ſo ſehr die Einzelnen darin aus den Augen verlieren, und erkennen, daß eine Geſellſchaft nicht neu werden kann, ſo lange diejenigen, welche ſie ausmachen und conſtituiren, die alten bleiben. Sollte z. B. im jüdiſchen Volke eine Geſellſchaft entſtehen, welche einen neuen Glauben über die Erde verbreitete, ſo durften dieſe Apoſtel doch keine Pha¬ riſäer bleiben. Wie Du biſt, ſo giebſt Du Dich, ſo benimmſt Du Dich gegen die Menſchen: ein Heuchler als Heuchler, ein Chriſt als Chriſt. Darum beſtimmt den Charakter einer Geſellſchaft der Charakter ihrer Mitglieder: ſie ſind die Schöpfer derſelben. So viel müßte man wenigſtens einſehen, wenn man auch den Begriff „Geſellſchaft“ ſelbſt nicht Prüfen wollte. Immer fern davon, Sich zur vollen Entwicklung und Geltung kommen zu laſſen, haben die Menſchen bisher auch ihre Geſellſchaften nicht auf Sich gründen, oder vielmehr, ſie haben nur „Geſellſchaften“ gründen und in Geſellſchaften leben können. Es waren die Geſellſchaften immer Perſonen, mäch¬ tige Perſonen, ſogenannte „moraliſche Perſonen“, d. h. Ge¬ ſpenſter, vor welchen der Einzelne den angemeſſenen Sparren, die Geſpenſterfurcht, hatte. Als ſolche Geſpenſter können ſie am füglichſten mit dem Namen „Volk“ und reſpective „Völk¬ chen“ bezeichnet werden: das Volk der Erzväter, das Volk der Hellenen u. ſ. w., endlich das — Menſchenvolk, die Menſch¬ heit (Anacharſis Cloots ſchwärmte für die „Nation“ der Menſchheit), dann jegliche Unterabtheilung dieſes „Volkes“, das ſeine beſonderen Geſellſchaften haben konnte und mußte, das ſpaniſche, franzöſiſche Volk u. ſ. w., innerhalb deſſelben

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/285>, abgerufen am 23.11.2024.