im Uebrigen doch gute Freunde und z.B. als Menschen einander gleich. Gleichwohl ist auch das Uebrige in Jedem ungleich, und Ihr werdet euren Gegensatz erst dann nicht länger bloß verhehlen, wenn Ihr ihn ganz anerkennt, und Jedermann vom Wirbel bis zur Zehe sich als einzig behaup¬ tet. Dann wird der frühere Gegensatz allerdings ausgelöst sein, aber nur deshalb, weil ein stärkerer ihn in sich aufge¬ nommen hat.
Nicht darin besteht unsere Schwäche, daß Wir gegen An¬ dere im Gegensatze sind, sondern darin, daß Wir's nicht voll¬ ständig sind, d.h. daß Wir nicht gänzlich von ihnen geschie¬ den sind, oder daß Wir eine "Gemeinschaft", ein "Band" suchen, daß Wir an der Gemeinschaft ein Ideal haben. Ein Glaube, Ein Gott, Eine Idee, Ein Hut für Alle! Würden Alle unter Einen Hut gebracht, so brauchte freilich keiner vor dem andern den Hut noch abzunehmen.
Der letzte und entschiedenste Gegensatz, der des Einzigen gegen den Einzigen, ist im Grunde über das, was Gegensatz heißt, hinaus, ohne aber in die "Einheit" und Einigkeit zu¬ rückgesunken zu sein. Du hast als Einziger nichts Gemein¬ sames mehr mit dem Andern und darum auch nichts Tren¬ nendes oder Feindliches; Du suchst nicht gegen ihn vor einem Dritten Recht und stehst mit ihm weder auf dem "Rechts¬ boden", noch sonst einem gemeinschaftlichen Boden. Der Ge¬ gensatz verschwindet in der vollkommenen -- Geschiedenheit oder Einzigkeit. Diese könnte zwar für das neue Gemeinsame oder eine neue Gleichheit angesehen werden, allein die Gleich¬ heit besteht hier eben in der Ungleichheit und ist selbst nichts als Ungleichheit: eine gleiche Ungleichheit, und zwar nur für denjenigen, der eine "Vergleichung" anstellt.
im Uebrigen doch gute Freunde und z.B. als Menſchen einander gleich. Gleichwohl iſt auch das Uebrige in Jedem ungleich, und Ihr werdet euren Gegenſatz erſt dann nicht länger bloß verhehlen, wenn Ihr ihn ganz anerkennt, und Jedermann vom Wirbel bis zur Zehe ſich als einzig behaup¬ tet. Dann wird der frühere Gegenſatz allerdings ausgelöſt ſein, aber nur deshalb, weil ein ſtärkerer ihn in ſich aufge¬ nommen hat.
Nicht darin beſteht unſere Schwäche, daß Wir gegen An¬ dere im Gegenſatze ſind, ſondern darin, daß Wir's nicht voll¬ ſtändig ſind, d.h. daß Wir nicht gänzlich von ihnen geſchie¬ den ſind, oder daß Wir eine „Gemeinſchaft“, ein „Band“ ſuchen, daß Wir an der Gemeinſchaft ein Ideal haben. Ein Glaube, Ein Gott, Eine Idee, Ein Hut für Alle! Würden Alle unter Einen Hut gebracht, ſo brauchte freilich keiner vor dem andern den Hut noch abzunehmen.
Der letzte und entſchiedenſte Gegenſatz, der des Einzigen gegen den Einzigen, iſt im Grunde über das, was Gegenſatz heißt, hinaus, ohne aber in die „Einheit“ und Einigkeit zu¬ rückgeſunken zu ſein. Du haſt als Einziger nichts Gemein¬ ſames mehr mit dem Andern und darum auch nichts Tren¬ nendes oder Feindliches; Du ſuchſt nicht gegen ihn vor einem Dritten Recht und ſtehſt mit ihm weder auf dem „Rechts¬ boden“, noch ſonſt einem gemeinſchaftlichen Boden. Der Ge¬ genſatz verſchwindet in der vollkommenen — Geſchiedenheit oder Einzigkeit. Dieſe könnte zwar für das neue Gemeinſame oder eine neue Gleichheit angeſehen werden, allein die Gleich¬ heit beſteht hier eben in der Ungleichheit und iſt ſelbſt nichts als Ungleichheit: eine gleiche Ungleichheit, und zwar nur für denjenigen, der eine „Vergleichung“ anſtellt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0282"n="274"/>
im <hirendition="#g">Uebrigen</hi> doch gute Freunde und z.B. als Menſchen<lb/>
einander gleich. Gleichwohl iſt auch das Uebrige in Jedem<lb/>
ungleich, und Ihr werdet euren Gegenſatz erſt dann nicht<lb/>
länger bloß <hirendition="#g">verhehlen</hi>, wenn Ihr ihn ganz anerkennt, und<lb/>
Jedermann vom Wirbel bis zur Zehe ſich als <hirendition="#g">einzig</hi> behaup¬<lb/>
tet. Dann wird der frühere Gegenſatz allerdings ausgelöſt<lb/>ſein, aber nur deshalb, weil ein ſtärkerer ihn in ſich aufge¬<lb/>
nommen hat.</p><lb/><p>Nicht darin beſteht unſere Schwäche, daß Wir gegen An¬<lb/>
dere im Gegenſatze ſind, ſondern darin, daß Wir's nicht voll¬<lb/>ſtändig ſind, d.h. daß Wir nicht gänzlich von ihnen <hirendition="#g">geſchie</hi>¬<lb/><hirendition="#g">den</hi>ſind, oder daß Wir eine „Gemeinſchaft“, ein „Band“<lb/>ſuchen, daß Wir an der Gemeinſchaft ein Ideal haben. Ein<lb/>
Glaube, Ein Gott, Eine Idee, Ein Hut für Alle! Würden<lb/>
Alle unter Einen Hut gebracht, ſo brauchte freilich keiner vor<lb/>
dem andern den Hut noch abzunehmen.</p><lb/><p>Der letzte und entſchiedenſte Gegenſatz, der des Einzigen<lb/>
gegen den Einzigen, iſt im Grunde über das, was Gegenſatz<lb/>
heißt, hinaus, ohne aber in die „Einheit“ und Einigkeit zu¬<lb/>
rückgeſunken zu ſein. Du haſt als Einziger nichts Gemein¬<lb/>ſames mehr mit dem Andern und darum auch nichts Tren¬<lb/>
nendes oder Feindliches; Du ſuchſt nicht gegen ihn vor einem<lb/><hirendition="#g">Dritten</hi> Recht und ſtehſt mit ihm weder auf dem „<hirendition="#g">Rechts</hi>¬<lb/><hirendition="#g">boden</hi>“, noch ſonſt einem gemeinſchaftlichen Boden. Der Ge¬<lb/>
genſatz verſchwindet in der vollkommenen —<hirendition="#g">Geſchiedenheit</hi><lb/>
oder Einzigkeit. Dieſe könnte zwar für das neue Gemeinſame<lb/>
oder eine neue Gleichheit angeſehen werden, allein die Gleich¬<lb/>
heit beſteht hier eben in der Ungleichheit und iſt ſelbſt nichts<lb/>
als Ungleichheit: eine gleiche Ungleichheit, und zwar nur für<lb/>
denjenigen, der eine „Vergleichung“ anſtellt.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[274/0282]
im Uebrigen doch gute Freunde und z.B. als Menſchen
einander gleich. Gleichwohl iſt auch das Uebrige in Jedem
ungleich, und Ihr werdet euren Gegenſatz erſt dann nicht
länger bloß verhehlen, wenn Ihr ihn ganz anerkennt, und
Jedermann vom Wirbel bis zur Zehe ſich als einzig behaup¬
tet. Dann wird der frühere Gegenſatz allerdings ausgelöſt
ſein, aber nur deshalb, weil ein ſtärkerer ihn in ſich aufge¬
nommen hat.
Nicht darin beſteht unſere Schwäche, daß Wir gegen An¬
dere im Gegenſatze ſind, ſondern darin, daß Wir's nicht voll¬
ſtändig ſind, d.h. daß Wir nicht gänzlich von ihnen geſchie¬
den ſind, oder daß Wir eine „Gemeinſchaft“, ein „Band“
ſuchen, daß Wir an der Gemeinſchaft ein Ideal haben. Ein
Glaube, Ein Gott, Eine Idee, Ein Hut für Alle! Würden
Alle unter Einen Hut gebracht, ſo brauchte freilich keiner vor
dem andern den Hut noch abzunehmen.
Der letzte und entſchiedenſte Gegenſatz, der des Einzigen
gegen den Einzigen, iſt im Grunde über das, was Gegenſatz
heißt, hinaus, ohne aber in die „Einheit“ und Einigkeit zu¬
rückgeſunken zu ſein. Du haſt als Einziger nichts Gemein¬
ſames mehr mit dem Andern und darum auch nichts Tren¬
nendes oder Feindliches; Du ſuchſt nicht gegen ihn vor einem
Dritten Recht und ſtehſt mit ihm weder auf dem „Rechts¬
boden“, noch ſonſt einem gemeinſchaftlichen Boden. Der Ge¬
genſatz verſchwindet in der vollkommenen — Geſchiedenheit
oder Einzigkeit. Dieſe könnte zwar für das neue Gemeinſame
oder eine neue Gleichheit angeſehen werden, allein die Gleich¬
heit beſteht hier eben in der Ungleichheit und iſt ſelbſt nichts
als Ungleichheit: eine gleiche Ungleichheit, und zwar nur für
denjenigen, der eine „Vergleichung“ anſtellt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/282>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.