sind sie dem Staate gewiß alle gleich; schon nach seinen be¬ sonderen Zwecken aber wird er sie theilen und bevorzugen oder hintansetzen, mehr jedoch muß er sie noch als gute und schlechte Staatsbürger von einander unterscheiden.
Br. Bauer erledigt die Judenfrage von dem Gesichtspunkte aus, daß das "Vorrecht" nicht berechtigt sei. Weil Jude und Christ, jeder etwas vor dem andern voraushaben, und in die¬ sem Voraushaben ausschließlich sind, darum zerfallen sie vor dem Blick des Kritikers in Nichtigkeit. Mit ihnen trifft der gleiche Tadel den Staat, der ihr Voraushaben berechtigt und zu einem "Vorrecht" oder Privilegium ausprägt, dadurch aber sich den Beruf, ein "freier Staat" zu werden, verkümmert.
Etwas hat nun aber Jeder vor dem Andern voraus, nämlich sich selbst oder seine Einzigkeit: darin bleibt Jedermann ausschließlich oder exclusiv.
Und wieder macht Jeder von einem Dritten seine Eigen¬ thümlichkeit so gut als möglich geltend und sucht vor ihm, wenn er anders ihn gewinnen will, diese anziehend erscheinen zu lassen.
Soll nun der Dritte gegen den Unterschied des Einen vom Andern unempfindlich sein? Verlangt man das vom freien Staate oder von der Menschheit? Dann müßten diese schlechterdings ohne eigenes Interesse sein, und unfähig, für irgendwen eine Theilnahme zu fassen. So gleichgültig dachte man sich weder Gott, der die Seinen von den Bösen scheidet, noch den Staat, der die guten Bürger von den schlechten zu trennen weiß.
Aber man sucht eben diesen Dritten, der kein "Vorrecht" mehr ertheilt. Der heißt dann etwa der freie Staat oder die Menschheit oder wie sonst.
ſind ſie dem Staate gewiß alle gleich; ſchon nach ſeinen be¬ ſonderen Zwecken aber wird er ſie theilen und bevorzugen oder hintanſetzen, mehr jedoch muß er ſie noch als gute und ſchlechte Staatsbürger von einander unterſcheiden.
Br. Bauer erledigt die Judenfrage von dem Geſichtspunkte aus, daß das „Vorrecht“ nicht berechtigt ſei. Weil Jude und Chriſt, jeder etwas vor dem andern voraushaben, und in die¬ ſem Voraushaben ausſchließlich ſind, darum zerfallen ſie vor dem Blick des Kritikers in Nichtigkeit. Mit ihnen trifft der gleiche Tadel den Staat, der ihr Voraushaben berechtigt und zu einem „Vorrecht“ oder Privilegium ausprägt, dadurch aber ſich den Beruf, ein „freier Staat“ zu werden, verkümmert.
Etwas hat nun aber Jeder vor dem Andern voraus, nämlich ſich ſelbſt oder ſeine Einzigkeit: darin bleibt Jedermann ausſchließlich oder excluſiv.
Und wieder macht Jeder von einem Dritten ſeine Eigen¬ thümlichkeit ſo gut als möglich geltend und ſucht vor ihm, wenn er anders ihn gewinnen will, dieſe anziehend erſcheinen zu laſſen.
Soll nun der Dritte gegen den Unterſchied des Einen vom Andern unempfindlich ſein? Verlangt man das vom freien Staate oder von der Menſchheit? Dann müßten dieſe ſchlechterdings ohne eigenes Intereſſe ſein, und unfähig, für irgendwen eine Theilnahme zu faſſen. So gleichgültig dachte man ſich weder Gott, der die Seinen von den Böſen ſcheidet, noch den Staat, der die guten Bürger von den ſchlechten zu trennen weiß.
Aber man ſucht eben dieſen Dritten, der kein „Vorrecht“ mehr ertheilt. Der heißt dann etwa der freie Staat oder die Menſchheit oder wie ſonſt.
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ſind ſie dem Staate gewiß alle gleich; ſchon nach ſeinen be¬
ſonderen Zwecken aber wird er ſie theilen und bevorzugen oder
hintanſetzen, mehr jedoch muß er ſie noch als gute und ſchlechte
Staatsbürger von einander unterſcheiden.
Br. Bauer erledigt die Judenfrage von dem Geſichtspunkte
aus, daß das „Vorrecht“ nicht berechtigt ſei. Weil Jude und
Chriſt, jeder etwas vor dem andern voraushaben, und in die¬
ſem Voraushaben ausſchließlich ſind, darum zerfallen ſie vor
dem Blick des Kritikers in Nichtigkeit. Mit ihnen trifft der
gleiche Tadel den Staat, der ihr Voraushaben berechtigt und
zu einem „Vorrecht“ oder Privilegium ausprägt, dadurch aber
ſich den Beruf, ein „freier Staat“ zu werden, verkümmert.
Etwas hat nun aber Jeder vor dem Andern voraus,
nämlich ſich ſelbſt oder ſeine Einzigkeit: darin bleibt Jedermann
ausſchließlich oder excluſiv.
Und wieder macht Jeder von einem Dritten ſeine Eigen¬
thümlichkeit ſo gut als möglich geltend und ſucht vor ihm,
wenn er anders ihn gewinnen will, dieſe anziehend erſcheinen
zu laſſen.
Soll nun der Dritte gegen den Unterſchied des Einen
vom Andern unempfindlich ſein? Verlangt man das vom
freien Staate oder von der Menſchheit? Dann müßten dieſe
ſchlechterdings ohne eigenes Intereſſe ſein, und unfähig, für
irgendwen eine Theilnahme zu faſſen. So gleichgültig dachte
man ſich weder Gott, der die Seinen von den Böſen ſcheidet,
noch den Staat, der die guten Bürger von den ſchlechten zu
trennen weiß.
Aber man ſucht eben dieſen Dritten, der kein „Vorrecht“
mehr ertheilt. Der heißt dann etwa der freie Staat oder die
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/280>, abgerufen am 23.11.2024.
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