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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Einen Angriff hat das Recht innerhalb seiner, d. h.
vom Standpunkte des Rechtes aus erleben müssen, indem von
Seiten des Liberalismus dem "Vorrecht" der Krieg erklärt
wurde.

Bevorrechtet und Gleichberechtigt -- um diese
beiden Begriffe dreht sich ein hartnäckiger Kampf. Ausge¬
schlossen oder zugelassen -- würde dasselbe sagen. Wo gäbe
es aber eine Macht, sei es eine imaginäre, wie Gott, Gesetz,
oder eine wirkliche, wie Ich, Du, -- vor der nicht alle "gleich¬
berechtigt" wären, d. h. kein Ansehen der Person gölte? Gott
ist jeder gleich lieb, wenn er ihn anbetet, dem Gesetze gleich
genehm, wenn er nur ein Gesetzlicher ist: ob der Liebhaber
Gottes oder des Gesetzes bucklig und lahm, ob arm oder
reich u. dergl., das macht Gott und dem Gesetze nichts aus;
ebenso wenn Du ertrinken willst, ist Dir als Retter ein Neger
so lieb als der trefflichste Caucasier, ja ein Hund gilt Dir in
dieser Lage nicht weniger als ein Mensch. Aber wem wäre
auch umgekehrt nicht jeder ein Bevorzugter oder Zurückgesetzter?
Gott straft die Bösen mit seinem Grimm, das Gesetz züchtigt
die Ungesetzlichen, Du lässest Dich vom Einen jeden Augen¬
blick sprechen und weisest dem Andern die Thür.

Die "Gleichheit des Rechts" ist eben ein Phantom, weil
Recht nichts mehr und nichts minder als Zulassung, d. h. eine
Gnadensache ist, die man sich übrigens auch durch sein
Verdienst erwerben kann: denn Verdienst und Gnade wider¬
sprechen einander nicht, da auch die Gnade "verdient" sein
will und unser gnädiges Lächeln nur Dem zufällt, der es Uns
abzuzwingen weiß.

So träumt man davon, daß "alle Staatsbürger gleich¬
berechtigt neben einander stehen sollen". Als Staatsbürger

Einen Angriff hat das Recht innerhalb ſeiner, d. h.
vom Standpunkte des Rechtes aus erleben müſſen, indem von
Seiten des Liberalismus dem „Vorrecht“ der Krieg erklärt
wurde.

Bevorrechtet und Gleichberechtigt — um dieſe
beiden Begriffe dreht ſich ein hartnäckiger Kampf. Ausge¬
ſchloſſen oder zugelaſſen — würde daſſelbe ſagen. Wo gäbe
es aber eine Macht, ſei es eine imaginäre, wie Gott, Geſetz,
oder eine wirkliche, wie Ich, Du, — vor der nicht alle „gleich¬
berechtigt“ wären, d. h. kein Anſehen der Perſon gölte? Gott
iſt jeder gleich lieb, wenn er ihn anbetet, dem Geſetze gleich
genehm, wenn er nur ein Geſetzlicher iſt: ob der Liebhaber
Gottes oder des Geſetzes bucklig und lahm, ob arm oder
reich u. dergl., das macht Gott und dem Geſetze nichts aus;
ebenſo wenn Du ertrinken willſt, iſt Dir als Retter ein Neger
ſo lieb als der trefflichſte Caucaſier, ja ein Hund gilt Dir in
dieſer Lage nicht weniger als ein Menſch. Aber wem wäre
auch umgekehrt nicht jeder ein Bevorzugter oder Zurückgeſetzter?
Gott ſtraft die Böſen mit ſeinem Grimm, das Geſetz züchtigt
die Ungeſetzlichen, Du läſſeſt Dich vom Einen jeden Augen¬
blick ſprechen und weiſeſt dem Andern die Thür.

Die „Gleichheit des Rechts“ iſt eben ein Phantom, weil
Recht nichts mehr und nichts minder als Zulaſſung, d. h. eine
Gnadenſache iſt, die man ſich übrigens auch durch ſein
Verdienſt erwerben kann: denn Verdienſt und Gnade wider¬
ſprechen einander nicht, da auch die Gnade „verdient“ ſein
will und unſer gnädiges Lächeln nur Dem zufällt, der es Uns
abzuzwingen weiß.

So träumt man davon, daß „alle Staatsbürger gleich¬
berechtigt neben einander ſtehen ſollen“. Als Staatsbürger

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[271/0279] Einen Angriff hat das Recht innerhalb ſeiner, d. h. vom Standpunkte des Rechtes aus erleben müſſen, indem von Seiten des Liberalismus dem „Vorrecht“ der Krieg erklärt wurde. Bevorrechtet und Gleichberechtigt — um dieſe beiden Begriffe dreht ſich ein hartnäckiger Kampf. Ausge¬ ſchloſſen oder zugelaſſen — würde daſſelbe ſagen. Wo gäbe es aber eine Macht, ſei es eine imaginäre, wie Gott, Geſetz, oder eine wirkliche, wie Ich, Du, — vor der nicht alle „gleich¬ berechtigt“ wären, d. h. kein Anſehen der Perſon gölte? Gott iſt jeder gleich lieb, wenn er ihn anbetet, dem Geſetze gleich genehm, wenn er nur ein Geſetzlicher iſt: ob der Liebhaber Gottes oder des Geſetzes bucklig und lahm, ob arm oder reich u. dergl., das macht Gott und dem Geſetze nichts aus; ebenſo wenn Du ertrinken willſt, iſt Dir als Retter ein Neger ſo lieb als der trefflichſte Caucaſier, ja ein Hund gilt Dir in dieſer Lage nicht weniger als ein Menſch. Aber wem wäre auch umgekehrt nicht jeder ein Bevorzugter oder Zurückgeſetzter? Gott ſtraft die Böſen mit ſeinem Grimm, das Geſetz züchtigt die Ungeſetzlichen, Du läſſeſt Dich vom Einen jeden Augen¬ blick ſprechen und weiſeſt dem Andern die Thür. Die „Gleichheit des Rechts“ iſt eben ein Phantom, weil Recht nichts mehr und nichts minder als Zulaſſung, d. h. eine Gnadenſache iſt, die man ſich übrigens auch durch ſein Verdienſt erwerben kann: denn Verdienſt und Gnade wider¬ ſprechen einander nicht, da auch die Gnade „verdient“ ſein will und unſer gnädiges Lächeln nur Dem zufällt, der es Uns abzuzwingen weiß. So träumt man davon, daß „alle Staatsbürger gleich¬ berechtigt neben einander ſtehen ſollen“. Als Staatsbürger

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/279>, abgerufen am 23.11.2024.