Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

verrath. Der Ehebruch ist eine strafwürdige Herzlosigkeit, man
hat kein Herz, keine Begeisterung, kein Pathos für die Heilig¬
keit der Ehe. So lange das Herz oder Gemüth Gesetze dic¬
tirt, genießt nur der herzliche oder gemüthliche Mensch den
Schutz der Gesetze. Daß der Gemüthsmensch die Gesetze gebe,
heißt eigentlich nur, der sittliche Mensch gebe sie: was dem
"sittlichen Gefühl" dieser Menschen widerspricht, das verpönen
sie. Wie sollte z. B. Untreue, Abfall, Eidbrüchigkeit, kurz
alles radicale Abbrechen, alles Zerreißen altehrwürdiger
Bande in den Augen derselben nicht heillos und verbrecherisch
sein? Wer mit diesen Forderungen des Gemüthes bricht, der
hat alle Sittlichen, alle Gemüthsmenschen zu Feinden. Nur
die Krummacher und Consorten sind die rechten Leute, um einen
Strafcodex des Herzens consequent aufzustellen, wie ein gewis¬
ser Gesetzentwurf zur Genüge beweist. Die consequente Ge¬
setzgebung des christlichen Staates muß ganz in die Hände
der -- Pfaffen gelegt werden, und wird nicht rein und fol¬
gerichtig werden, so lange sie nur von -- Pfaffendienern,
die immer nur halbe Pfaffen sind, ausgearbeitet wird.
Dann erst wird jede Ungemüthlichkeit, jede Herzlosigkeit als
ein unverzeihliches Verbrechen constatirt werden, dann erst jede
Aufregung des Gemüths verdammlich, jede Einrede der Kritik
und des Zweifels anathematisirt werden; dann erst ist der
eigene Mensch vor dem christlichen Bewußtsein von Haus
aus ein überführter -- Verbrecher.

Die Revolutionsmänner sprachen oft von der "gerechten
Rache" des Volkes als seinem "Rechte". Rache und Recht
fallen hier zusammen. Ist dieß ein Verhalten eines Ich's
zum Ich? Das Volk schreit, die Gegenpartei habe gegen
dasselbe "Verbrechen" begangen. Kann Ich annehmen, daß

verrath. Der Ehebruch iſt eine ſtrafwürdige Herzloſigkeit, man
hat kein Herz, keine Begeiſterung, kein Pathos für die Heilig¬
keit der Ehe. So lange das Herz oder Gemüth Geſetze dic¬
tirt, genießt nur der herzliche oder gemüthliche Menſch den
Schutz der Geſetze. Daß der Gemüthsmenſch die Geſetze gebe,
heißt eigentlich nur, der ſittliche Menſch gebe ſie: was dem
„ſittlichen Gefühl“ dieſer Menſchen widerſpricht, das verpönen
ſie. Wie ſollte z. B. Untreue, Abfall, Eidbrüchigkeit, kurz
alles radicale Abbrechen, alles Zerreißen altehrwürdiger
Bande in den Augen derſelben nicht heillos und verbrecheriſch
ſein? Wer mit dieſen Forderungen des Gemüthes bricht, der
hat alle Sittlichen, alle Gemüthsmenſchen zu Feinden. Nur
die Krummacher und Conſorten ſind die rechten Leute, um einen
Strafcodex des Herzens conſequent aufzuſtellen, wie ein gewiſ¬
ſer Geſetzentwurf zur Genüge beweiſt. Die conſequente Ge¬
ſetzgebung des chriſtlichen Staates muß ganz in die Hände
der — Pfaffen gelegt werden, und wird nicht rein und fol¬
gerichtig werden, ſo lange ſie nur von — Pfaffendienern,
die immer nur halbe Pfaffen ſind, ausgearbeitet wird.
Dann erſt wird jede Ungemüthlichkeit, jede Herzloſigkeit als
ein unverzeihliches Verbrechen conſtatirt werden, dann erſt jede
Aufregung des Gemüths verdammlich, jede Einrede der Kritik
und des Zweifels anathematiſirt werden; dann erſt iſt der
eigene Menſch vor dem chriſtlichen Bewußtſein von Haus
aus ein überführter — Verbrecher.

Die Revolutionsmänner ſprachen oft von der „gerechten
Rache“ des Volkes als ſeinem „Rechte“. Rache und Recht
fallen hier zuſammen. Iſt dieß ein Verhalten eines Ich's
zum Ich? Das Volk ſchreit, die Gegenpartei habe gegen
daſſelbe „Verbrechen“ begangen. Kann Ich annehmen, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0275" n="267"/>
verrath. Der Ehebruch i&#x017F;t eine &#x017F;trafwürdige Herzlo&#x017F;igkeit, man<lb/>
hat kein Herz, keine Begei&#x017F;terung, kein Pathos für die Heilig¬<lb/>
keit der Ehe. So lange das Herz oder Gemüth Ge&#x017F;etze dic¬<lb/>
tirt, genießt nur der herzliche oder gemüthliche Men&#x017F;ch den<lb/>
Schutz der Ge&#x017F;etze. Daß der Gemüthsmen&#x017F;ch die Ge&#x017F;etze gebe,<lb/>
heißt eigentlich nur, der <hi rendition="#g">&#x017F;ittliche</hi> Men&#x017F;ch gebe &#x017F;ie: was dem<lb/>
&#x201E;&#x017F;ittlichen Gefühl&#x201C; die&#x017F;er Men&#x017F;chen wider&#x017F;pricht, das verpönen<lb/>
&#x017F;ie. Wie &#x017F;ollte z. B. Untreue, Abfall, Eidbrüchigkeit, kurz<lb/>
alles <hi rendition="#g">radicale Abbrechen</hi>, alles Zerreißen altehrwürdiger<lb/><hi rendition="#g">Bande</hi> in den Augen der&#x017F;elben nicht heillos und verbrecheri&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ein? Wer mit die&#x017F;en Forderungen des Gemüthes bricht, der<lb/>
hat alle Sittlichen, alle Gemüthsmen&#x017F;chen zu Feinden. Nur<lb/>
die Krummacher und Con&#x017F;orten &#x017F;ind die rechten Leute, um einen<lb/>
Strafcodex des Herzens con&#x017F;equent aufzu&#x017F;tellen, wie ein gewi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;er Ge&#x017F;etzentwurf zur Genüge bewei&#x017F;t. Die con&#x017F;equente Ge¬<lb/>
&#x017F;etzgebung des chri&#x017F;tlichen Staates muß ganz in die Hände<lb/>
der &#x2014; <hi rendition="#g">Pfaffen</hi> gelegt werden, und wird nicht rein und fol¬<lb/>
gerichtig werden, &#x017F;o lange &#x017F;ie nur von &#x2014; <hi rendition="#g">Pfaffendienern</hi>,<lb/>
die immer nur <hi rendition="#g">halbe Pfaffen</hi> &#x017F;ind, ausgearbeitet wird.<lb/>
Dann er&#x017F;t wird jede Ungemüthlichkeit, jede Herzlo&#x017F;igkeit als<lb/>
ein unverzeihliches Verbrechen con&#x017F;tatirt werden, dann er&#x017F;t jede<lb/>
Aufregung des Gemüths verdammlich, jede Einrede der Kritik<lb/>
und des Zweifels anathemati&#x017F;irt werden; dann er&#x017F;t i&#x017F;t der<lb/>
eigene Men&#x017F;ch vor dem chri&#x017F;tlichen Bewußt&#x017F;ein von Haus<lb/>
aus ein überführter &#x2014; <hi rendition="#g">Verbrecher</hi>.</p><lb/>
            <p>Die Revolutionsmänner &#x017F;prachen oft von der &#x201E;gerechten<lb/>
Rache&#x201C; des Volkes als &#x017F;einem &#x201E;Rechte&#x201C;. Rache und Recht<lb/>
fallen hier zu&#x017F;ammen. I&#x017F;t dieß ein Verhalten eines Ich's<lb/>
zum Ich? Das Volk &#x017F;chreit, die Gegenpartei habe gegen<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe &#x201E;Verbrechen&#x201C; begangen. Kann Ich annehmen, daß<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0275] verrath. Der Ehebruch iſt eine ſtrafwürdige Herzloſigkeit, man hat kein Herz, keine Begeiſterung, kein Pathos für die Heilig¬ keit der Ehe. So lange das Herz oder Gemüth Geſetze dic¬ tirt, genießt nur der herzliche oder gemüthliche Menſch den Schutz der Geſetze. Daß der Gemüthsmenſch die Geſetze gebe, heißt eigentlich nur, der ſittliche Menſch gebe ſie: was dem „ſittlichen Gefühl“ dieſer Menſchen widerſpricht, das verpönen ſie. Wie ſollte z. B. Untreue, Abfall, Eidbrüchigkeit, kurz alles radicale Abbrechen, alles Zerreißen altehrwürdiger Bande in den Augen derſelben nicht heillos und verbrecheriſch ſein? Wer mit dieſen Forderungen des Gemüthes bricht, der hat alle Sittlichen, alle Gemüthsmenſchen zu Feinden. Nur die Krummacher und Conſorten ſind die rechten Leute, um einen Strafcodex des Herzens conſequent aufzuſtellen, wie ein gewiſ¬ ſer Geſetzentwurf zur Genüge beweiſt. Die conſequente Ge¬ ſetzgebung des chriſtlichen Staates muß ganz in die Hände der — Pfaffen gelegt werden, und wird nicht rein und fol¬ gerichtig werden, ſo lange ſie nur von — Pfaffendienern, die immer nur halbe Pfaffen ſind, ausgearbeitet wird. Dann erſt wird jede Ungemüthlichkeit, jede Herzloſigkeit als ein unverzeihliches Verbrechen conſtatirt werden, dann erſt jede Aufregung des Gemüths verdammlich, jede Einrede der Kritik und des Zweifels anathematiſirt werden; dann erſt iſt der eigene Menſch vor dem chriſtlichen Bewußtſein von Haus aus ein überführter — Verbrecher. Die Revolutionsmänner ſprachen oft von der „gerechten Rache“ des Volkes als ſeinem „Rechte“. Rache und Recht fallen hier zuſammen. Iſt dieß ein Verhalten eines Ich's zum Ich? Das Volk ſchreit, die Gegenpartei habe gegen daſſelbe „Verbrechen“ begangen. Kann Ich annehmen, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/275
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/275>, abgerufen am 23.11.2024.