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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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sein. Dann soll Ich kein Egoist, sondern ein "honetter, recht¬
schaffener", d. h. sittlicher Mensch sein. Genug, Ich soll
gegen ihn und seinen Bestand ohnmächtig und respectvoll
sein u. s. w.

Dieser Staat, allerdings nicht ein gegenwärtiger, sondern
des Erschaffens erst noch bedürftig, ist das Ideal des fortschrei¬
tenden Liberalismus. Es soll eine wahrhafte "Menschengesell¬
schaft" entstehen, worin jeder "Mensch" Platz findet. Der
Liberalismus will "den Menschen" realisiren, d. h. ihm eine
Welt schaffen, und dieß wäre die menschliche Welt oder die
allgemeine (communistische) Menschengesellschaft. Man sagte:
"Die Kirche konnte nur den Geist, der Staat soll den ganzen
Menschen berücksichtigen"*). Aber ist "der Mensch" nicht
"Geist"? Der Kern des Staates ist eben "der Mensch", diese
Unwirklichkeit, und er selber ist nur "Menschengesellschaft".
Die Welt, welche der Gläubige (gläubige Geist) schafft, heißt
Kirche, die Welt, welche der Mensch (menschliche oder humane
Geist) schafft, heißt Staat. Das ist aber nicht meine Welt.
Ich verrichte nie in abstracto Menschliches, sondern immer
Eigenes, d. h. meine menschliche That ist von jeder andern
menschlichen verschieden und ist nur durch diese Verschiedenheit
eine wirkliche, Mir zugehörige That. Das Menschliche an ihr
ist eine Abstraction, und als solches Geist, d. h. abstrahirtes
Wesen.

Br. Bauer spricht es z. B. Judenfr. S. 84. aus, daß
die Wahrheit der Kritik die letzte, und zwar die vom Christen¬
thum selber gesuchte Wahrheit sei, nämlich "der Mensch". Er
sagt: "die Geschichte der christlichen Welt ist die Geschichte

*) Heß, Triarchie. S. 76.

ſein. Dann ſoll Ich kein Egoiſt, ſondern ein „honetter, recht¬
ſchaffener“, d. h. ſittlicher Menſch ſein. Genug, Ich ſoll
gegen ihn und ſeinen Beſtand ohnmächtig und reſpectvoll
ſein u. ſ. w.

Dieſer Staat, allerdings nicht ein gegenwärtiger, ſondern
des Erſchaffens erſt noch bedürftig, iſt das Ideal des fortſchrei¬
tenden Liberalismus. Es ſoll eine wahrhafte „Menſchengeſell¬
ſchaft“ entſtehen, worin jeder „Menſch“ Platz findet. Der
Liberalismus will „den Menſchen“ realiſiren, d. h. ihm eine
Welt ſchaffen, und dieß wäre die menſchliche Welt oder die
allgemeine (communiſtiſche) Menſchengeſellſchaft. Man ſagte:
„Die Kirche konnte nur den Geiſt, der Staat ſoll den ganzen
Menſchen berückſichtigen“*). Aber iſt „der Menſch“ nicht
„Geiſt“? Der Kern des Staates iſt eben „der Menſch“, dieſe
Unwirklichkeit, und er ſelber iſt nur „Menſchengeſellſchaft“.
Die Welt, welche der Gläubige (gläubige Geiſt) ſchafft, heißt
Kirche, die Welt, welche der Menſch (menſchliche oder humane
Geiſt) ſchafft, heißt Staat. Das iſt aber nicht meine Welt.
Ich verrichte nie in abstracto Menſchliches, ſondern immer
Eigenes, d. h. meine menſchliche That iſt von jeder andern
menſchlichen verſchieden und iſt nur durch dieſe Verſchiedenheit
eine wirkliche, Mir zugehörige That. Das Menſchliche an ihr
iſt eine Abſtraction, und als ſolches Geiſt, d. h. abſtrahirtes
Weſen.

Br. Bauer ſpricht es z. B. Judenfr. S. 84. aus, daß
die Wahrheit der Kritik die letzte, und zwar die vom Chriſten¬
thum ſelber geſuchte Wahrheit ſei, nämlich „der Menſch“. Er
ſagt: „die Geſchichte der chriſtlichen Welt iſt die Geſchichte

*) Heß, Triarchie. S. 76.
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[236/0244] ſein. Dann ſoll Ich kein Egoiſt, ſondern ein „honetter, recht¬ ſchaffener“, d. h. ſittlicher Menſch ſein. Genug, Ich ſoll gegen ihn und ſeinen Beſtand ohnmächtig und reſpectvoll ſein u. ſ. w. Dieſer Staat, allerdings nicht ein gegenwärtiger, ſondern des Erſchaffens erſt noch bedürftig, iſt das Ideal des fortſchrei¬ tenden Liberalismus. Es ſoll eine wahrhafte „Menſchengeſell¬ ſchaft“ entſtehen, worin jeder „Menſch“ Platz findet. Der Liberalismus will „den Menſchen“ realiſiren, d. h. ihm eine Welt ſchaffen, und dieß wäre die menſchliche Welt oder die allgemeine (communiſtiſche) Menſchengeſellſchaft. Man ſagte: „Die Kirche konnte nur den Geiſt, der Staat ſoll den ganzen Menſchen berückſichtigen“ *). Aber iſt „der Menſch“ nicht „Geiſt“? Der Kern des Staates iſt eben „der Menſch“, dieſe Unwirklichkeit, und er ſelber iſt nur „Menſchengeſellſchaft“. Die Welt, welche der Gläubige (gläubige Geiſt) ſchafft, heißt Kirche, die Welt, welche der Menſch (menſchliche oder humane Geiſt) ſchafft, heißt Staat. Das iſt aber nicht meine Welt. Ich verrichte nie in abstracto Menſchliches, ſondern immer Eigenes, d. h. meine menſchliche That iſt von jeder andern menſchlichen verſchieden und iſt nur durch dieſe Verſchiedenheit eine wirkliche, Mir zugehörige That. Das Menſchliche an ihr iſt eine Abſtraction, und als ſolches Geiſt, d. h. abſtrahirtes Weſen. Br. Bauer ſpricht es z. B. Judenfr. S. 84. aus, daß die Wahrheit der Kritik die letzte, und zwar die vom Chriſten¬ thum ſelber geſuchte Wahrheit ſei, nämlich „der Menſch“. Er ſagt: „die Geſchichte der chriſtlichen Welt iſt die Geſchichte *) Heß, Triarchie. S. 76.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/244>, abgerufen am 27.11.2024.